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Dresden (dpa/sn) – 596 Freiwillige – Frauen und Männer – unterstützen derzeit die Arbeit der Polizei in Sachsen. Die Angehörigen der Sicherheitswacht leisteten damit ehrenamtlich einen wichtigen Beitrag zur inneren Sicherheit im Freistaat, sagte Innenminister Markus Ulbig (CDU) am Sonntag in Dresden. Gerade in Fußgängerzonen, Parks und öffentlichen Verkehrsmitteln, im Umfeld von Schulen, Freizeiteinrichtungen und Kinderspielplätzen sowie im grenznahen Raum trügen sie wesentlich zur Erhöhung des Sicherheitsgefühls der Bevölkerung bei.
Welt.de:
Hilfspolizisten sorgen nur für trügerische Sicherheit
Das Gewaltmonopol des Staates wird aufgeweicht: Freiwillige Polizeihelfer sollen für Sicherheit sorgen, zum Beispiel die Sächsische Sicherheitswacht.
Der Mann ist sturzbetrunken. Vor einer Einkaufspassage in der Leipziger Innenstadt pöbelt er immer wieder Passanten an. Kristina Scholz, die gerade Streife läuft, hört den Mann schon von Weitem. Mutig geht sie auf den Betrunkenen zu und versucht, ihn zu beruhigen. Keine Chance. Der Mann wird immer aggressiver, droht ihr sogar Schläge an.
Foto: picture-alliance / Stefan Puchne/dpa Mitarbeiter der Sicherheitswacht in Augsburg. In vier Bundesländern sind Hilfspolizisten unterwegs
Scholz bekommt Angst, ihr Herz rast, die Hände zittern. Doch sie kann nichts tun. Weder kann sie ihn zu Boden ringen, noch hat sie das Recht dazu. Der 51-Jährigen bleibt nichts anderes übrig: Sie fordert über Funk Beamte des nächsten Polizeireviers an. Wenige Minuten später treffen die Polizisten ein und nehmen den Mann mit.
An Tagen wie diesen wird Scholz klar, dass sie in ihrer Arbeit schnell an ihre Grenzen stößt. Denn sie ist keine Polizistin, sondern Mitglied der Sächsischen Sicherheitswacht, eines Freiwilligendienstes der Polizei. Als freiwillige Polizeihelferin soll Scholz in erster Linie Präsenz zeigen und den Menschen Sicherheit vermitteln. Knapp 600 Freiwillige beschäftigt der Freistaat.
Vier Bundesländer beschäftigen Freiwillige
Über das Für und Wider dieser Art bürgerlichen Engagements gibt es seit Jahren eine bundesweite Debatte. Sachsen, Bayern, Hessen und Baden-Württemberg beschäftigen solche freiwilligen Mitarbeiter. Je nach Land besitzen sie unterschiedliche Kompetenzen.
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Befürworter argumentieren, dass die Freiwilligen einen wichtigen Beitrag für die innere Sicherheit leisten. Kritiker dagegen befürchten, dass die Freiwilligen reine Lückenfüller für eingesparte Polizisten sind. Experten warnen, dass die Länder damit die Polizeiarbeit privatisieren und der Staat sein ordnungspolitisches Gewaltmonopol aus den Händen gibt. Eine Gratwanderung.
„Die Ehrenamtlichen sollen die Polizei ergänzen, nicht ersetzen“, sagt Bernd Turowski, Leiter des Polizeireviers Leipzig-Innenstadt. Er kennt Kristina Scholz schon seit Jahren. Insgesamt beschäftigt die Dienststelle acht Frauen und Männer, die freiwillig in der Innenstadt Streife gehen.
Trügerische Sicherheit
Bewerber für die Sächsische Sicherheitswacht, die es seit 1998 gibt, müssen mindestens 18 Jahre alt sein, einen guten Leumund und eine abgeschlossene Schul- oder Berufsausbildung besitzen. Für ihren Dienst absolvieren sie eine 60-stündige Ausbildung. Pro Monat dürfen sie maximal 40 Stunden arbeiten. „In erster Linie sollen sie Präsenz zeigen und Ansprechpartner für den Bürger sein“, sagt Turowski.
Im Kern geht es jedoch um die Frage, inwieweit der Staat seine hoheitliche Aufgabe, seine Bürger zu schützen, an andere delegieren darf.
Die Polizei steht in dem Konflikt, die steigenden Sicherheitswünsche der Bürger bei immer kleineren Budgets zu erfüllen. Denn Sicherheit kostet nun einmal Geld. Mit den freiwilligen Polizeihelfern wiegt sich der Bürger jedoch in trügerischer Sicherheit, da die Freiwilligen in der Regel keine Waffen tragen.
Der Staat zieht sich aus vielen Bereichen zurück
Auf der anderen Seite verspricht das Geschäft mit der Angst Millionengewinne. Allein im vergangenen Jahr erwirtschafteten die Wach- und Sicherheitsunternehmen in Deutschland 4,8 Milliarden Euro. Die rund 4000 Sicherheitsunternehmen beschäftigen 169.000 Mitarbeiter.
Der zu verteilende Kuchen wird immer größer, weil der Staat sich aus vielen Bereichen zurückgezogen hat. An Flughäfen kontrollieren private Sicherheitsunternehmen die Passagiere, Gebäude werden von Objektschützern bewacht. In hessischen Kommunen etwa übernimmt ein privates Unternehmen die Geschwindigkeitsmessung, weil für Gemeinden mit klammen Kassen die Blitzgeräte zu teuer sind.
Auch in Fußgängerzonen patrouillieren immer häufiger private Sicherheitsleute, freilich ohne polizeiliche Befugnisse. Und an Oberschulen in Brennpunktkiezen stehen schon vor Unterrichtsbeginn stämmige Security-Mitarbeiter. Wohl hat der Staat immer noch sein Gewaltmonopol. Das Sicherheitsmonopol liegt allerdings längst in privater Hand.
5,11 Euro pro Stunde
Kristina Scholz steht exemplarisch für diese Entwicklung. „Unsere Kompetenzen sind klar abgesteckt“, sagt sie und zückt ihren Dienstausweis. Darauf steht, dass sie Personen anhalten, die Personalien aufnehmen und Platzverweise erteilen darf. Mehr aber auch nicht. Mit ihrer Kollegin Ramona Abel läuft sie schon seit einigen Jahren gemeinsam einmal in der Woche Streife. Pro Stunde bekommen sie dafür 5,11 Euro.
Ihr Revier ist die Leipziger Innenstadt. In der Fußgängerzone ermahnen sie hier und da Fahrradfahrer, ihr Rad zu schieben. Viele erkennen die Frauen schon von Weitem und steigen freiwillig ab. Die beiden sehen schließlich wie richtige Polizistinnen aus. Mit ihren grünen Jacken und dem Barett auf dem Kopf strahlen sie Autorität aus. An ihrem Gürtel hängen Taschenlampe und Pfefferspray.
Das Kalkül der Politik geht somit auf. Die bloße Präsenz von Uniformen erhöht das subjektive Sicherheitsgefühl. Doch im Notfall können auch Scholz und Abel nur wenig ausrichten. Wenn es gefährlich wird, ziehen sie sich zurück. „Selbstschutz geht vor“, sagen die beiden Frauen.
„Wir brauchen keine privaten Hilfssheriffs“
Der Deutschen Polizeigewerkschaft sind Freiwillige wie Scholz und Abel seit Längerem ein Dorn im Auge. „Die laufen durch die Gegend und spielen Polizei“, sagt der Bundesvorsitzende Rainer Wendt. Polizeiarbeit sei eine hoch qualifizierte Arbeit. Die könne nicht in einem Kurzlehrgang vermittelt werden. Streifendienst sei Aufgabe hauptberuflicher Beamter. „Da brauchen wir keine privaten Hilfssheriffs“, sagt er.
Für den Gewerkschaftschef stellt der freiwillige Polizeidienst eine prekäre Entwicklung dar. In den vergangenen zehn Jahren sind bundesweit rund 10.000 Stellen weggefallen. Nur in Bayern wird in diesem Jahr das Personal um 1300 Beamte aufgestockt. Wendt nennt das „unverantwortlich“. Sicherheit würde zur käuflichen Ware verkommen, der Staat ein Stück seines Gewaltmonopols aus den Händen geben.
Grundsätzlich begrüße die Gewerkschaft ehrenamtliche Tätigkeiten. „Aber wo die Aufgaben der Polizei beginnen, endet das bürgerliche Engagement“, sagt Wendt.
Viele Polizistenstellen gestrichen
In Baden-Württemberg sind die schlimmsten Befürchtungen der Gewerkschaft allerdings längst Wirklichkeit geworden. Dort besitzen die freiwilligen Helfer, die es seit 1963 gibt, nahezu den Status eines Polizeibeamten. Die fast 1200 Freiwilligen tragen deshalb grundsätzlich Uniform, Pistole und Handschellen. Optisch unterscheiden sie sich durch ein paar Streifen auf ihren Schulterklappen, werden aber immer von einem hauptberuflichen Polizeibeamten begleitet, der auch stets als Sachbearbeiter den Fall bearbeitet.
Guido Söndgen gehört seit mehr als 20 Jahren dem freiwilligen Polizeidienst an. Werktags arbeitet der gelernte Speditionskaufmann bei einem Autozulieferer, am Wochenende ist er häufig in der Nachtschicht unterwegs. „Da gibt es immer großen Bedarf“, sagt der 45-Jährige. Ersetzen also die Freiwilligen doch Polizeibeamte? „Nein“, sagt Söndgen. „Wir unterstützen sie nur bei ihrer Arbeit.“ Dennoch brauchen die Kollegen die Freiwilligen.
Polizei fordert Sicherheitspersonal in Städten
Auch im prosperierenden Ländle wurden viele Stellen gestrichen. Zudem werden viele Beamte wegen Großveranstaltungen oder Demonstrationen aus den Dienststellen, aber auch aus anderen Bundesländern abgezogen. Woanders sieht es nicht besser aus. Allein bei den Castor-Transporten im Wendland wurden rund 20.000 Beamte eingesetzt.
Der hohe Personalbedarf verärgert wiederum die Innenminister der betroffenen Länder, denen die Beamten fehlen. Polizeivertreter klagen, dass die zunehmenden länderübergreifenden Einsätze sie an den Rand ihres Leistungsvermögens bringen. Im vergangenen Jahr gab es 122 solcher Einsätze, bei denen nach Gewerkschaftsangaben insgesamt 67.000 Beamte mobilisiert wurden.
Baden-Württemberg will Hilfspolizisten abschaffen
Der neue baden-württembergische Innenminister Reinhold Gall (SPD) will Schluss machen mit der Privatisierung. „Wir wollen den freiwilligen Polizeidienst abschaffen“, sagte er „Welt Online“. Die Ausbildung der Freiwilligen sei eine reine Schmalspurausbildung, die Anforderungen an einen Beamten hingegen hoch. „Wir haben uns deshalb vorgenommen, den Personalabbau zu stoppen und die Polizei so aufzustellen, dass sie ihre Aufgaben erfüllen kann.“
Im Koalitionsvertrag heißt es, dass der freiwillige Polizeidienst „mittelfristig“ aufgelöst und das Budget eingefroren wird. Ab sofort sollen auch keine neuen Freiwilligen engagiert werden. Die so frei gewordenen Mittel sollen in die „Verbesserung der Personalausstattung“ fließen.
Die Leipzigerinnen Kristina Scholz und Ramona Abel bewegen solche Gedankenspiele nicht. Das sächsische Innenministerium steht weiter zu den Freiwilligen, weil sie dringend gebraucht werden. Allein in den kommenden acht Jahren wollen die fünf ostdeutschen Bundesländer in den Polizeirevieren 30 Prozent der Vollzeitstellen, insgesamt rund 9600, streichen.
Gewerkschaftsvertreter warnen davor, dass sich die Bevölkerung nicht nur in trügerischer Sicherheit wiegt. Auch bei Verkehrsunfällen oder Wohnungseinbrüchen müssten die Bürger dann länger auf die Polizei warten. Denn auch dem freiwilligen Polizeidienst bleibt dann nichts anderes übrig, als über 110 Hilfe zu holen.