Tagesspiegel, 06.04.2010

Reinickendorf
Vermummte greifen Rocker-Vereinsheim an

Nachdem Hells Angels und Bandidos noch kürzlich mit Brandsätzen, Pistolen und Schlagstöcken gegeneinander vorgegangen sind, war fast drei Wochen lang Ruhe. Bis heute. Vermummte griffen am Morgen ein Vereinsheim in Reinickendorf an.

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Von Hannes Heine
6.4.2010 13:47 Uhr

Anwohner in der Reinickendorfer Residenzstraße beobachteten am Dienstagmorgen zwei Vermummte, die einen Brandsatz auf das dortige Vereinsheim warfen – die Feuerwehr löschte die Flammen. Das Klubhaus gehört einer Rockergang, die in den vergangenen Wochen bundesweit Ärger provozierte. Die lokale Dependance der Bandidos, das Chapter „El Centro“, war Anfang Februar zum Erzfeind Hells Angels übergelaufen.

Einen Seitenwechsel eines ganzen Bataillons hatte es bisher nicht gegeben. Die Bandidos widersprachen aber Angaben von Ermittlern, wonach 70 Anhänger ihren Klub verlassen hätten. Durch das abtrünnige Chapter „El Centro“ habe man nur 15 Männer verloren. Seit dem Übertritt befürchten Kenner eine „Eskalation des Rockerkrieges“. In Berlin und Umgebung observieren Polizisten regelmäßig die Vereinshäuser der Motorradclubs.

Trotz der aufgeheizten Lage sollen die Bundesführungen der Rockergruppen vor knapp drei Wochen ein Stillhalteabkommen vereinbart haben – und zwar kurz nachdem ein Anhänger der Hells Angels bei Koblenz einen Elitepolizisten bei einer Razzia erschossen hatte. Der Anschlag vom Dienstag nährt nun Zweifel an den Friedensverhandlungen. Der Mitbegründer der deutschen Hells Angels, Rudolf „Django“ T., sagte dem Tagesspiegel: „Wir bestätigen nur, dass es Gespräche zwischen unseren Klubs gibt. In den kommenden Tagen werden wir dazu mehr sagen.“ Auch von den konkurrierenden Bandidos heißt es, von einem Waffenstillstand wisse man derzeit nichts. „Allerdings ist in den vergangenen zwei Wochen auch nichts passiert“, sagte Bandidos-Sprecher Micha R.
Zu dem Anschlag von Reinickendorf wollte sich in der Szene am Dienstag niemand äußern, die Polizei hat noch keine heiße Spur. Vor allem zwischen den Platzhirschen der Hells Angels und den Aufsteigern der Bandidos kommt es seit Jahren zu Revierkämpfen – 2009 gab es dabei bundesweit drei Tote und Dutzende Schwerverletzte. Beide Clubs können deutschlandweit bis zu 1000 Anhänger mobilisieren.

Polizeiverbände und Politiker fordern ein Verbot militanter Rockergruppen. Dafür plädieren vor allem der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK, die Gewerkschaft der Polizei sowie Berlins Innensenator Ehrhart Körting und sein Amtskollege Karl-Peter Bruch (beide SPD) aus Rheinland-Pfalz. Bruch war oberster Dienstherr des bei Koblenz erschossenen Beamten. Hingegen warnt die Polizeigewerkschaft DPolG vor einem Verbot, da Rocker in der Illegalität ohne Kontrolle weitermachen könnten. Mitglieder der beiden bekanntesten Rockerklubs seien im Drogen- und Waffenhandel sowie als Schutzgeldeintreiber aktiv, sagen Ermittler. Die Rocker konkurrierten um die Kontrolle lukrativer Lokale – auch wenn es sich um Bordelle handele. Die Wohnung des Rockers bei Koblenz etwa sollte wegen Rotlichtaktivitäten durchsucht werden.

Kürzlich ist der den Bandidos nahestehende Rockerklub „Chicanos MC Barnim“ verboten worden. Gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts sind keine Rechtsmittel eingelegt worden. Bei einer Razzia im märkischen Rockermilieu sind vor zwei Wochen Messer und Macheten gefunden worden.

Tagesspiegel, 06.04.2010

1. Mai und Brandanschläge
Polizei rätselt über Pläne der linksextremen Szene

Vor dem 1. Mai ist es auffällig ruhig in Berlin. Sogar die Serie von Autobränden scheint fürs Erste gestoppt. Ein Strategiewechsel in der linksextremen Szene der Stadt?

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Von Jörn Hasselmann
6.4.2010 0:00 Uhr

Berlin – Ist es die Ruhe vor dem Sturm oder ist der linksextremistischen Szene die Luft ausgegangen? Die Polizei rätselt derzeit, wieso die Zahl der Brandanschläge in den ersten drei Monaten des Jahres derart drastisch zurückgegangen ist. Bislang gingen zehn Autos durch Extremistenhand in Flammen auf, im Jahr 2009 hatte es 191 Anschläge gegeben mit 276 zerstörten oder beschädigten Fahrzeugen. Fast jeden Tag hatte das Polizeipräsidium Meldungen herausgegeben mit der Standardüberschrift „Auto angezündet“.

Im Januar und Februar hatten Experten vermutet, dass es schlicht zu kalt war zum Zündeln, verschneite Autos brennen schließlich schlecht. Doch seit Mitte März ist Frühling, und das einzige Auto, das seitdem brannte, gehörte ausgerechnet der Linke-Politikerin Evrim Baba. Hier ist ein rechter Hintergrund wahrscheinlich, denn Baba wird bekanntlich vorgeworfen, zu eng mit der autonomen Szene zusammenzuarbeiten. Auch die Freisprüche für zwei Mitglieder der linken Szene, denen Brandstiftungen vorgeworfen worden waren, verhallten ohne Freudenfeuer auf der Straße.

Dennoch will das Polizeipräsidium noch nicht vom Ende der Anschläge sprechen. Obwohl es so etwas bei einem anderen Delikt bereits gegeben hat. 2007 war an über 200 Autos, vor allem PS-starken Geländewagen, die Luft aus den Reifen gelassen worden. Hinter dem Scheibenwischer fanden die Halter ein Flugblatt, in dem von Klimaschutz die Rede war. So schlagartig dieses aus Frankreich bekannte Phänomen in Berlin begann, so plötzlich war es wieder vorbei. Geklärt wurden die Hintergründe nie.

Seit zwei Monaten hat es in diesem Jahr auch keinen Anschlag mehr mit Gaskartuschen gegeben. Im Winter hatte es in Berlin fünf Anschläge mit diesen Minibomben gegeben, unter anderem auf Luxus-Neubauten, eine Polizeigewerkschaft und eine politische Stiftung. Die angegriffene Gewerkschaft hatte diese Steigerung der Angriffe als „Terror“ gewertet.

Auffallend ist insgesamt, dass die vermeintlich linken Taten immer häufiger gezielt verübt werden – auf missliebige Personen und Institutionen. Möglicherweise zeigt hier eine seit Monaten laufende Diskussion in der Szene Wirkung. Denn die wahllosen nächtlichen Zündeleien an Privat-Pkws sind intern massiv als kontraproduktiv kritisiert worden. Denn wie berichtet, hatte es keineswegs nur „Bonzen“ getroffen, sondern oft auch Normalverdiener mit älteren Fahrzeugen.

Zudem ist die Wirkung mit gezielten Anschlägen höher. So scheint die Ballung von Farb-, Stein- und Brandattacken auf Luxusneubauten mittlerweile Konsequenzen auf dem Immobilienmarkt zu haben. Bei Häusern, die derart im Fokus der militanten Szene stehen, bekommen Investoren Probleme: In einer der letzten Ausgaben des Autonomen-Magazins „Interim“ stand dieses Eigenlob: „Die kontinuierlichen Angriffe auf das Luxusprojekt Carloft führen zu seinem andauernden Leerstand.“

Vier Wochen vor dem 1. Mai wird in der linken Szene vor allem über den geplanten Neonaziaufmarsch in Berlin debattiert. Erstmals seit 2004 will die Rechte an diesem Tag wieder marschieren. In Aufrufen heißt es: „Egal wo die Nazis an dem Tag marschieren wollen, wir sind flexibel und werden sie daran hindern.“ Die Planung der Gegenaktivitäten und die Vorbereitung der eigenen Demo scheint viele Kräfte zu binden – möglicherweise ist dies auch ein Grund für die relative Ruhe auf der Straße.

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