Neue Osnabrücker Zeitung, 17.09.2010

Winnenden: Angehörige vom Vater des Täters enttäuscht

dapd/AFP/dpa Stuttgart. Am 11. März 2009 tötete der 17-jährige Tim K. beim Amoklauf von Winnenden 15 Menschen und dann sich selbst. Seit gestern steht sein Vater vor Gericht, da sein Sohn die Tatwaffe von ihm entwendet hatte. Die Staatsanwaltschaft möchte in dem Verfahren vor dem Landgericht Stuttgart erreichen, dass der 51-jährige Jörg K. wegen fahrlässiger Tötung verurteilt wird. Darauf stehen bis zu fünf Jahre Haft.

Mit versteinerten Mienen sitzen 27 Angehörige von Opfern des Amoklaufs von Winnenden im Gerichtssaal, als der Angeklagte den Raum im Stuttgarter Landgericht betritt. Ihre Hoffnung, von dem Vater von Täter Tim K. ein paar persönliche Worte zu hören, wird am ersten Verhandlungstag enttäuscht. Der 51-Jährige lehnt Angaben zur Person und zur Sache ab. Er befinde sich psychisch und körperlich am Rande der Belastung und wolle deshalb in dem Verfahren keine weiteren Angaben machen. Seine Verteidiger verlesen eine Erklärung, die nach ihren Angaben keine Einlassung ihres Mandanten darstellen soll. Dem Angeklagten wird vorgeworfen, die Tatwaffe, eine Beretta, unverschlossen im Kleiderschrank im elterlichen Schlafzimmer aufbewahrt zu haben. Mit der Waffe hatte sein 17-jähriger Sohn in der Albertville-Realschule in Winnenden und bei der anschließenden Flucht in Wendlingen 15 Menschen getötet und 13 verletzt. Danach erschoss sich Tim K. selbst.

Staatsanwältin Eva Hanss hält dem Vater vor, bewusst gegen die Aufbewahrungsvorschriften verstoßen zu haben, obwohl er gewusst habe, dass sowohl seine Ehefrau als auch seine minderjährigen Kinder ungehinderten Zugang zu dem nicht verschlossenen Schlafzimmer hatten. Er habe die Tat seines Sohnes durch das vorschriftswidrige Verwahren der Sportpistole sowie der Munition ermöglicht, sagt sie. „Er hätte dies voraussehen können und müssen.“Der Verteidiger des Vaters, Hubert Gorka, spricht den Angehörigen zu Beginn seiner Erklärung das Mitgefühl des Vaters für das „nie verheilende Leid“ aus. „Er trauert mit ihnen, er, seine Frau und seine Tochter. Und sie trauern um ihren Sohn“, sagt er.

Jörg K. habe keine Hoffnung, dass die Angehörigen ihm jemals verzeihen. Zwischen der Tat des Sohnes und der Verantwortung des Vaters müsse aber streng unterschieden werden, betont der Verteidiger des Vaters, Hubert Gorka. „Hätte er es erkennen und vermeiden können, hätte er es getan“, sagt er. Auch die Jugendkammer habe bei der Zulassung der Klage keinen hinreichenden Verdacht auf fahrlässige Tötung und Körperverletzung gesehen, betont er. Danach sei es nicht erwiesen, dass die Tat hätte verhindert werden können, wenn der Vater die Waffe richtig verschlossen hätte. Nicht nur die Eltern, sondern auch die behandelnden Ärzte des Sohnes hätten nicht erkannt, dass eine akute Gefahr von ihm ausging. Mehrere Vertreter der Nebenklage werfen der Verteidigung daraufhin mangelndes Einfühlungsvermögen vor. Nach einem „Präludium der Einsicht und des Mitgefühls“ vor den Angehörigen die Argumentation der Jugendkammer zu zitieren sei „ungeschickt“ gewesen, erbost sich ein Verteidiger. „Das war keine persönliche Entschuldigung und kein klares Bekenntnis für eine Mitverantwortung“, ergänzt Anwalt Jens Rabe, der nach eigenen Angaben die Angehörigen von fünf toten und drei verletzten Kindern vertritt, nach Prozessende.

Das Landgericht erklärte nun aber am ersten Prozesstag, sich gleichwohl eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung vorzubehalten.„Das war ein klares Signal: Jetzt ist wieder alles offen“, kommentiert dies Anwalt Rabe. Wie sehr von den Eltern eine persönliche Geste des Angeklagten erwartet wird, hatte eine Mutter einer getöteten Referendarin vor Verhandlungsbeginn verdeutlicht. „Ich möchte erfahren, wer er ist, denn auch er ist ein Vater. Ich hoffe, dass er sich mir als Mensch zeigt“, sagt Gisela Mayer, die als Nebenklägerin ihre getötete damals 24-jährige Tochter vertritt. Während des Prozesses musste sie mehrmals den Raum verlassen. Verstöße gegen das Waffengesetz können mit einer Geld- oder Haftstrafe bis zu einem Jahr geahndet werden, die meist zur Bewährung ausgesetzt wird. Dagegen kann fahrlässige Tötung mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden.

Unterdessen ist die Diskussion um ein schärferes Waffenrecht neu entbrannt. CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach wies die Forderungen der Grünen zurück, Waffen aus Privathaushalten zu verbannen.Die Grünen setzen sich aus Anlass des Prozesses für eine Verschärfung der Waffengesetze ein. Nötig sei vor allem ein Verbot von Schusswaffen in Privathaushalten, sagte Parteichef Cem Özdemir der „Frankfurter Rundschau“. Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, bezeichnete die Forderung als „Unfug“. Deutschland habe bereits jetzt „eines der schärfsten Waffengesetze der Welt“, sagte Wendt im Sender n-tv.

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