Die Welt, 06.09.2010
Von Till-R. Stoldt
Duisburg – Der Wagen raste mit 80 Stundenkilometern durch die Tempo-30-Zone. Ein Polizeiwagen verfolgte und stoppte die Raser. Doch die türkischstämmigen Insassen waren kaum ausgestiegen, da versammelten sich weitere 40 junge Männer um den Polizeiwagen. Sie schimpften, rempelten, drohten – bis sich die Staatsgewalt zurückzog und die Raser triumphierten.
Rainer Wendt, Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), erzählt diese Geschichte aus Duisburg-Marxloh öfter, um zu erklären, warum er das staatliche Gewaltmonopol durch junge, männliche Migranten gefährdet sieht. In dem Stadtteil mit über 35 Prozent nicht deutscher Bevölkerung und hoher Arbeitslosigkeit lässt sich der Befund schlicht nicht mehr verbergen, meint der Gewerkschafter: dass Polizisten in Migrantenvierteln auf enorme Feindseligkeit stießen, die ganz überwiegend von Türkisch- oder Arabischstämmigen ausgehe.
Duisburgs ehemaliger Polizeipräsident Rolf Cebin nannte Marxloh schon 2008 einen „Angstraum“ und warnte erst vor wenigen Monaten wieder vor ständig wachsender Aggression junger Ausländer.
Grob geschätzt kommt es im Monatstakt zu Massenschlägereien zwischen türkischen, kurdischen oder arabischen Gruppen. Sorge bereitet den Experten die Neigung der jungen Männer, der Polizei grundsätzlich die Autorität abzusprechen. Wendt berichtet, dass die Beamten vor Ort oft die Aufforderung hören zu verschwinden: „Das klären wir mit unserem Hodscha, nicht mit euch!“ Doch die Polizei setzt ihr Vertrauen in eine erstaunlich simple Gegenstrategie: „Wir werden in Marxloh keinen Zentimeter zurückweichen“, sagt Cebin. Manchmal, so sagt er, helfe gegen Druck nur Gegendruck.
Die Welt, 06.09.2010
„Krawalltouristen“ zünden erneut die Schanze an
Polizei kann Randale nach dem Straßenfest jedoch eindämmen. Anwohner treten der Gewalt entgegen
Von Florian Hanauer und André Zand-Vakili
Den ganzen Tag über blieb das Schanzenfest mit Flohmärkten der Anwohner friedlich. Doch als die letzten Händler abgezogen waren, begannen am Samstagabend im Schanzenviertel die Krawalle. Wie schon in den Vorjahren lieferten sich die Randalierer im Anschluss an das Straßenfest schwere Auseinandersetzungen mit der Polizei. Barrikaden brannten, Steine und Flaschen flogen. 14 Menschen wurden dabei leicht verletzt, darunter elf Polizisten. Die Beamten nahmen 42 Randalierer vorläufig fest, drei weitere kamen in Gewahrsam. Zwei Brandstifter sollen dem Haftrichter vorgeführt werden. Die Randalierer waren erneut zumeist jugendliche „Krawalltouristen“, die aus anderen Stadtteilen oder von außerhalb Hamburgs angereist waren. Unter den Festgenommenen ist nach Polizeiangaben nicht einer, der in dem Viertel selbst wohnt.
Trotz dieser Bilanz scheint die Polizeitaktik in diesem Jahr besser aufgegangen zu sein als zuvor: Die Beamten hielten sich zunächst im Hintergrund und griffen erst bei massiven Straftaten ein. Deshalb verliefen die Auseinandersetzungen weniger gewalttätig als im vergangenen Jahr, als 40 Polizisten zum Teil schwer verletzt wurden. Dazu mag auch das Verhalten vieler Anwohner beigetragen haben, die sich erkennbar gegen die Krawalle wendeten. So hatten acht Gastronomen ihre Bars und Cafés am Abend geschlossen.
Das Großaufgebot der Polizei hatte sich auf dem benachbarten Heiligengeistfeld und in der Umgebung aufgebaut. „Der konsequente, mit hohem Kräfteaufwand geführte Einsatz führte dazu, dass weitere Ausschreitungen unterbunden werden konnten“, sagt Polizeisprecher Mirko Streiber. 2300 Polizisten standen bereit. Bereits im Vorfeld war Verstärkung aus verschiedenen Bundesländern angefordert worden. Diesmal hatte die Polizei auch sehr viele Zivilfahnder eingesetzt. Sie beobachteten nicht nur, wo sich Krawalle entzündeten, sondern auch, wie Anwohner einschritten und zum Beispiel Brände wieder löschten.
Am Nachmittag hatten rund 9000 Menschen friedlich das Schanzenfest gefeiert. Gegen 22 Uhr eskalierte die Lage dann. Während viele friedliche Besucher das Viertel verließen, begannen mehrere Hundert Krawallmacher Polizisten mit Steinen, Flaschen und Feuerwerkskörpern zu bewerfen. Zudem wurden mehrere Mülltonnen und ein Auto angezündet sowie die Scheiben von zwei Polizeiwagen, einem Supermarkt und einem Modegeschäft eingeschlagen. Die Schaufenster einer Bankfiliale wurden ebenfalls mit Steinen attackiert, hielten aber stand. Die Einsatzkräfte gingen mit Wasserwerfern und Straßensperren gegen die Unruhestifter vor. Zeitweise wurde der S-Bahn-Verkehr im Viertel unterbrochen, da einzelne Randalierer die Gleise überquerten, um von einer Eisenbahnbrücke aus Beamte mit Flaschen zu bewerfen, sagte ein Sprecher der Bundespolizei.
Hamburgs Innensenator Heino Vahldieck (CDU) verurteilte die Ausschreitungen: „Jeder Steinwurf auf einen Polizisten ist einer zu viel, jede eingeschlagene Schaufensterscheibe ist ein Akt sinnloser Zerstörungswut“, sagte er. Die Einsatztaktik der Polizei habe sich als „goldrichtig“ erwiesen. Laut Vahldieck habe auch dies dazu beigetragen, dass „die Ausschreitungen im Vergleich zu früheren Jahren in Grenzen gehalten werden konnten“.
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Die SPD verurteilte die Randale ebenfalls. „Alle Aufrufe zur Gewaltfreiheit haben leider nicht verhindert, dass es wieder Randale im Schanzenviertel auch mit verletzten Polizisten gegeben hat. Wieder haben Krawalltouristen die Schanze als Bühne für ihre sinnlose Gewaltlust missbraucht“, sagte der SPD-Innenexperte Andreas Dressel. „Positiv ist aber zu bemerken, dass es immer wieder Menschen aus dem Viertel gegeben hat, die deeskalierend eingegriffen haben.“ Weniger erfreut äußerte sich Joachim Lenders von der Deutschen Polizeigewerkschaft: „Die Hoffnung auf ein friedliches Schanzenfest haben wir Polizisten zumindest aufgegeben. Wir müssen den Kopf dafür hinhalten – vermutlich auch nächstes Jahr“, sagte er und kritisierte die „Gewaltexzesse“.
Auch am Schlump und an der Schäferkampsallee schlugen Krawallmacher, die aus der Schanze kamen, zu. Sie richteten nach Polizeiangaben eine „Orgie der Zerstörung“ an, zerrten Blumenkübel und Bauzäune auf die Straße und setzten Müllcontainer in Brand. An der Schäferkampsallee wurden zwei 17 und 28 Jahre alte Brandstifter festgenommen, die versucht hatten, mehrere Autos anzuzünden.