Frankfurter Rundschau, 26.10.2010
Amnesty fürchtet Staatsgewalt bei Castor-Protest
Von Matthias Thieme

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International befürchtet nach dem harten Polizei-Einsatz bei den Stuttgart-21-Protesten auch Gewaltexzesse von Beamten bei den bevorstehenden Castor-Demonstrationen. Um gewalttätige Beamte zur Rechenschaft ziehen zu können, fordert Amnesty eine generelle Kennzeichnungspflicht von Polizisten im Einsatz.

Für Bürger müsse klar erkennbar sein, von wem die Gewalt ausgehe, sagte Monika Lüke, Generalsekretärin von Amnesty Deutschland, am Rande einer Fachtagung zu „Polizei und Menschenrechte“ Montag in Berlin. Deshalb fordere Amnesty, dass alle Polizeibeamten durch eine sichtbare Nummer auf ihrer Uniform identifiziert werden können. Momentan verhinderten ein falsch verstandenes Wir-Gefühl und Korpsgeist unter den Beamten oft jegliche Aufklärung exzessiver Polizeigewalt.

„Wir befürchten, dass es bei den Castor-Transporten wieder zu Ausschreitungen kommt, weil die Polizei überfordert ist“, sagte Lüke. „Die Nicht-Identifizierbarkeit von Polizeibeamten führt zu Übergriffen.“ Amnesty habe in diesem Jahr mehr als hundert Beschwerden über Polizeigewalt bekommen.

Bisher gibt es nur in Hamburg eine Anweisung an bestimmte Polizeigruppen, Namensschilder zu tragen. In Konfliktsituationen wie auf Demos gilt die Anweisung nicht. In Berlin hatte Polizeipräsident Dieter Glietsch vergeblich versucht, eine allgemeine Kennzeichnung der Beamten einzuführen – er scheiterte stets an den Gewerkschaften.

„Wir brauchen in Deutschland unabhängige Untersuchungs-Einheiten, die Polizeigewalt untersuchen“, forderte Lüke zudem. „Oft müssen Beamte aus derselben Einheit gegen ihre Kollegen ermitteln.“ In einem Amnesty bekannten Fall habe sogar ein beschuldigter Polizist die Ermittlungen gegen sich selbst geführt.

Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, wies die Amnesty-Forderungen zurück. „Wir sind gegen eine Kennzeichnungspflicht, weil sie einer Verdächtigung von Beamten gleichkommt“, sagte Wendt am Rande der Amnesty-Tagung. Man wolle nicht, dass Extremisten die Beamten identifizierbar im Internet anprangern könnten. Unabhängige Untersuchungs-Einheiten brauche man in Deutschland nicht, so Wendt, das erledigten bereits die Staatsanwaltschaften.

Zum Einsatz in Stuttgart sagte Wendt, er halte das Vorgehen der Polizei für gerechtfertigt: „Lehrer haben dort ihre Schüler missbraucht und sie als Schutzschilde gegen Wasserwerfer gestellt. Dafür tragen die Lehrer Verantwortung, nicht die Polizei.“

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