BILD, 23.09.2010

40 Euro
Blaulicht-Steuer geplant: Wer die Polizei ruft, muss blechen

Von Stefan Ernst und Franz Solms-Laubach

Meistens passiert es aus Unaufmerksamkeit: Ohne Schulterblick die Spur wechseln oder in eine Seitenstraße abbiegen und schon macht es RUMMS! Wenn’s kracht, rufen die meisten Autofahrer sofort die Polizei. Aber das kann künftig teuer werden!

Wer die Polizei ruft, muss blechen – bald sollen 40 Euro für eine Unfallaufnahme fällig sein! Als erstes Bundesland will Hamburg die „Blaulicht-Steuer“ einführen.

Dort sollen Verkehrsteilnehmer die Servicegebühr nach einem Unfall erst mal selbst an die Polizei zahlen, sich dann das Geld von der Kfz-Versicherung zurückholen. Kostenfrei kommt die Polizei in der Hansestadt nur noch bei Verkehrsunfällen mit Verletzten oder bei Unfallflucht. Vorbild für den Vorstoß ist Österreich.

Geht es nach der Deutschen Polizeigewerkschaft, könnte das Modell bundesweit Schule machen.

POLIZEI FÜR DIE STEUER

Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, zeigte sich grundsätzlich offen für die Idee einer bundesweiten „Blaulicht-Steuer“, schränkte gegenüber BILD.de jedoch ein: „Wenn eine solche Gebühr eingeführt wird, um Personalabbau bei der Polizei zu vermeiden, dann nur, wenn sie von den Versicherern bezahlt wird!“

Denn die Versicherungen profitierten schließlich von der Polizeiarbeit bei der Unfallaufnahme: „Sie haben danach alle Daten der Unfallteilnehmer und eine erste Einschätzung der Schuldfrage.“

GELD FÜR LEERE KASSEN

Die Länder können bei der bundesweiten Einführung einer Blaulicht-Steuer auf erhebliche Mehreinnahmen hoffen!

Laut Bundesamt für Statistik gab es 2009 rund 2 Millionen polizeilich erfasste Straßenverkehrsunfälle ohne Personenschaden. Bei einer Blaulicht-Steuer von 40 Euro pro Unfallaufnahme wären das Mehreinnahmen in Höhe von rund 80 Millionen Euro für Deutschlands Länderkassen jährlich!

Ein bestechendes Argument in Zeiten klammer Haushaltskassen…

AUTOCLUBS LEHNEN STEUER AB

Die beiden großen Autoclubs in Deutschland sind gegen die Blaulicht-Steuer.

Rainer Hillgärtner, Sprecher des Auto Club Europa (ACE) sagte BILD.de: „Die Idee ist grober Unfug!“ Die Polizei sei dafür da, Bürgern zu ihrem Recht zu verhelfen unabhängig davon, wie es um deren finanziellen Möglichkeiten bestellt sei. Denn „dafür zahlen wir ja bereits Steuern“, so Hillgärtner weiter.

Eine Sondersteuer, die auch noch mit der „Schuldfrage verknüpft wird, kollidiert zudem frontal mit den Prinzipien des Rechtsstaats“, sagte Hillgärtner.

Auch der ADAC lehnt den Vorstoß klar ab! Sprecher Maximilian Maurer zu BILD.de: „Das ist eine überflüssige Kopfgeburt, die nur Bürokratie verursacht!“

Die Polizei habe ohnehin keine Veranlassung, Bagatellschäden aufzunehmen: „Wir verstehen zwar den Wunsch, zusätzlich abzukassieren, aber sind nicht daran interessiert, dass die Polizei ihr Aufgabengebiet erweitert – sie kommt ja schon jetzt nicht immer hinterher.“ Es sei allerdings richtig, wenn die Polizei bei blockierten Kreuzungen oder Alkohol am Steuer einschreite und gegebenenfalls Bußgelder verhänge, sagt der ADAC-Experte. Im Falle eines leichten Unfalls gelte: „Wenn ein Fahrer aggressiv wird, eine Fahne hat, im Winter Sommerreifen drauf hat oder kein Wort Deutsch spricht, sollte der Autofahrer die Polizei rufen.“

Ansonsten aber gebe es „keinen gesetzlichen Auftrag“, Blechschäden aufzunehmen. Die Unfallteilnehmer sollten mit dem Handy den Schaden fotografieren, die Daten von Zeugen aufnehmen und ihre persönlichen Daten plus Namen ihrer Versicherung austauschen. Auch ein Formular im Handschuhfach zur Unfallaufnahme helfe.

Maurer: „Das ist wie mit einem Rotweinfleck auf dem Teppich bei einer Party, da ruft auch niemand die Polizei, sondern das wird untereinander geregelt.“

VERSICHERER DAGEGEN

Ähnlich sieht es der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft.

Sprecher Christian Lübke zu BILD.de: „Die Idee mag aus Sicht der Politik attraktiv erscheinen, aber Bagatellschäden unter 500 Euro müssen ohnehin nicht zwangsläufig der Polizei gemeldet werden.“ Solche Fälle sollten die betroffenen Parteien unter sich regulieren.

Derzeit seien zudem mehr Fragen offen als geklärt: „Wer muss bezahlen und in welchem Fall? Warum eine Extragebühr, wenn der Polizeieinsatz bereits aus steuerlichen Mitteln bezahlt wurde?“

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