Mittelbayerische Zeitung, 14.07.2010
Skinheadkonzerte genießen den Schutz des Artikels 8 des Grundgesetzes. Für die Polizei wird ein Eingriff so wesentlich schwieriger.
Immer wieder hat die Polizei Skinhead-Konzerte aufgelöst. Nun wird es für die Polizei schwieriger, in solchen Fällen einzugreifen.
von Harald Raab, MZ
MANNHEIM. Obwohl das behördliche Verbot eines Skinheadkonzerts in der baden-württembergischen Stadt Geislingen zulässig war, hat die rechte Szene einen beachtlichen Sieg errungen. Der 1. Senat des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg bescheinigte ihr am Montag: Skinheadkonzerte mit rechten Parolen und Rekrutierung Jugendlicher für ihr Gedankengut sind Veranstaltungen im Sinn des Versammlungsgesetzes. Sie genießen daher das Schutzprivileg des Artikels 8 Absatz 1 des Grundgesetzes.
Das heißt nach Einschätzung von Polizeipraktikern und Ordnungsämtern, dass dem Verbot solcher Veranstaltungen künftig weitaus höhere Hürden gesetzt sind. Die Stadtverwaltung Geislingen hatte gegen ein Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart geklagt. Darin wurde ihr Verbot eines Skinheadkonzerts am 21. Juni 2006 für rechtswidrig erklärt, weil das Konzert eine Versammlung im Sinn des Grundgesetzartikels 8, Absatz 1 gewesen sei. Dagegen hat Geislingen Berufungen beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg eingelegt.
Der 1. Senat bestätigte in seiner Entscheidung in Mannheim die Rechtsauffassung des Stuttgarter Verwaltungsgerichts. Er revidierte dennoch das erstinstanzliche Urteil, aber nur, weil auch aus feuerpolizeilichen Gesichtspunkten das Verbot gerechtfertigt gewesen sei. Das Konzert hatte im fensterlosen Keller eines ehemaligen Fabrikgebäudes stattgefunden, bei dem es nur einen schmalen Eingang und keinen Fluchtweg gegeben hat.
Der Präsident des Verwaltungsgerichtshofs, Karl-Heinz Weingärtner, stellte in seiner mündlichen Begründung der Entscheidung fest: „Rechtlich irrelevant ist die rechtsextremistische Ausrichtung der Veranstaltung. Der Artikel 8 des Grundgesetzes entscheidet nicht nach dem Inhalt der geäußerten Meinung.“ Auch Verfassungswerte dürften infrage gestellt werden, wenn dies nicht in kämpferischer Form erfolge. Skinheadkonzerte könnten nicht wie allgemeine Musikkonzerte bewertet werden. „Sie sind dadurch geprägt, dass mit Musik gleichzeitig eine politische Botschaft vermittelt wird.“ Der szeneneigenen Musik, insbesondere den Konzerten käme ein „hoher identitätsstiftender Stellenwert“ zu. Diese Musik sei „das wichtigste Propagandamedium, über das rechtsextremistische Inhalte in die Skinhead-Szene transportiert“ würden. Über den Konsum der Musik fänden „umso mehr Jugendliche in den Rechtsextremismus, je präsenter man durch ein vielfältiges CD- und Konzertangebot“ sei.
Für die Ordnungsämter und die Polizei ergeben sich aus dem Urteil weitreichende Konsequenzen. Sie haben weniger Handhaben, Skinheadkonzerte zu untersagen, auf denen Jugendliche für die rechte Szene angeworben werden. Finden solche Konzerte in geschlossenen, feuerpolizeilich geeigneten Räumen statt, kann ein Verbot nur ausgesprochen werden, wenn der dringende Verdacht vorliege, dass Straftaten wie Volksverhetzung tatsächlich stattfinden werden. Die Gründe dafür sind aber nur schwer zu erlangen.
Hermann Vogelgsang, der stellvertretende Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft in Bayern, ist entsetzt: „Ein Skinheadkonzert als Versammlung mit all den rechtlichen Konsequenzen zu qualifizieren, das löst bei uns Polizeibeamten Sprachlosigkeit aus. Es ist schwer, solche Urteile nachzuvollziehen.“ In der Praxis heiße das für die Polizeibeamten, dass ihnen bei Skinheadkonzerten im Verhältnis zu anderen Veranstaltungen, bei denen man mit niederschwelligeren Maßnahmen nach dem Polizeiaufgabengesetz vorgehen könne, die Hände weitgehend gebunden seien. Damit würden die Konzerte der rechten Szene privilegiert. Es bestehe die Gefahr, dass jetzt auch andere ihre Veranstaltungen als Versammlung deklarieren möchten, da ihre Texte politisch seien. „Da muss man sich die Frage stellen, in welche Richtung wir als Gesellschaft marschieren. Auf diesem Weg kommen wir zu noch härteren Auseinandersetzungen durch die rechte Szene“, so Vogelgsang.