Tagesschau, 27.08.2010
Der Streit um die Sicherungsverwahrung ist vorerst beigelegt. Das FDP-geführte Justizministerium und das CDU-geführte Innenministerium haben sich offenbar auf einen Kompromiss geeinigt. Demnach sollen gefährliche Schwerverbrecher auch nach dem Ende der Haft in Gewahrsam bleiben – in einer neu zu schaffenden „sicheren Unterbringung“, die weder Gefängnis noch Psychiatrie sei soll. Innenminister Thomas de Maizière beschrieb es so: Es werde eine völlig neue Form der sicheren Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter sein. Man werde „etwas anderes als Strafhaft, aber auch etwas anderes als die Unterbringung psychisch Kranker“ für diesen Personenkreis schaffen. So solle sichergestellt werden, dass jene Menschen, die wegen schwerwiegender Sexualdelikte inhaftiert seien, weiterhin nicht in Freiheit kämen.
„Es kommt ein Gesetz zu Therapierung und Unterbringung psychisch kranker Gewalttäter“, ergänzte Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Damit soll die Zwangsunterbringung von gefährlichen Straftätern nach der Haft ermöglicht werden. Die Verantwortung für den Vollzug soll bei den Ländern liegen. In Abständen von 18 Monaten müsse die Entscheidung überprüft werden. Die Gutachter dürften nicht im Strafvollzug beschäftigt sein.
Keine Fortsetzung der Strafhaft
Offenbar ist vorgesehen, diese Regelung auch auf die „Altfälle“ anzuwenden. Bei ihnen handelt es sich um mindestens 80 Täter, die nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg (EGMR) vom Dezember aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden müssen. Leutheusser-Schnarrenberger zeigte sich zuversichtlich, dass die neuen Regelungen vor dem Menschenrechtsgerichtshof Bestand haben. Denn die geplante, neue Unterbringungsform solle eben nicht die Fortsetzung der Strafhaft sein. „Der Schwerpunkt liegt auf der Therapierung.“ Der Gerichtshof hatte kritisiert, die Sicherungsverwahrung sei in Deutschland wie eine zusätzliche Strafe ausgestaltet.
Lob und…
Bayerns Innenminister Joachim Herrmann – ein Verfechter der nachträglichen Sicherungsverwahrung – begrüßte den Kompromiss. „Meine nachdrückliche Kritik an der von der Bundesjustizministerin geplanten ersatzlosen Streichung der nachträglichen Sicherungsverwahrung war erfolgreich“, sagte er. „Es ist wichtig, dass mit der Neuregelung zur Unterbringung psychisch gestörter Gewalttäter auch alle Altfälle der letzten Jahre hinreichend abgedeckt werden können.“
…Kritik
Herrmanns Kabinettskollegin, Justizministerin Beate Merk äußerte sich kritischer: „Ich werde nicht zustimmen, solange ich keine ausformulierten Texte habe und solange wir nicht sicher sagen können, dass alle Fälle, die heute unter die nachträgliche Sicherungsverwahrung fallen, auch im künftigen Recht wirklich erfasst sind.“
Grünen-Fraktionschefin Renate Künast meldete verfassungsrechtliche Bedenken an. Es seien „Zweifel angebracht, ob bereits freigelassene Personen überhaupt in diese ominöse neue Form der Unterbringung gebracht werden können“, sagte sie dem „Hamburger Abendblatt.“.
„Überfällige Regelung“
Die Polizeigewerkschaften begrüßten die Einigung zu den Altfällen. Es sei „eine überfällige Regelung nach viel zu langem Streit“ erzielt worden, sagte der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt. Nun müsse das Gesetz schnell verabschiedet werden und die Länder zügig entsprechende Unterbringungseinrichtungen schaffen, forderte der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg.