Stuttgarter Zeitung, 07.11.2011
Einschränkungen bei der Polizei
Loch in der Kasse wird größer
Von Christine Bilger, aktualisiert am 05.11.2011 um 13:09

Stuttgart – Noch fahren die Streifenwagen, noch hat die Polizei Geld, um sie aufzutanken. Aber es fehlt an anderen Stellen: Die Polizei sei pleite, meldete die Deutsche Polizeigewerkschaft, es müsse Einschränkungen im Streifendienst, bei Fortbildungen, dem Dienstsport und Schießübungen geben. „Der Streifendienst ist gesichert, aber wir müssen über jede Investition sehr genau nachdenken“, sagt Stefan Keilbach, der Sprecher der Stuttgarter Polizei, über die Auswirkungen für die Ordnungskräfte in der Stadt. Allein das Stuttgarter Polizeipräsidium soll nach Informationen der Stuttgarter Zeitung ein Defizit von 2,5 Millionen Euro drücken.
Eine Finanzierungslücke von mehr als 7,1 Millionen Euro klafft insgesamt bei der dezentralen Budgetierung, das sind die für die laufenden Kosten zugewiesenen Haushaltsmittel für die Sachkosten. In dieser Woche hat das Finanzministerium für den Haushalt der Polizeidirektionen und für das Stuttgarter Polizeipräsidium zwar auf Einsparungen von immerhin 5,7 Millionen Euro verzichtet und damit einen erheblichen Teil des Minus ausgeglichen. 1,4 Millionen Euro aber bleiben als Defizit, die auf die Landespolizeidirektion und damit auf die Polizeidirektionen im Land und das Polizeipräsidium umgelegt werden. Insgesamt haben die Polizeidienststellen in diesem Jahr 160 Millionen Euro erhalten, neun Millionen weniger als 2010.
Unmut über den Mangel
Die aktuelle Debatte über den Geldmangel hat der Leiter der Polizeidirektion Waiblingen, Ralf Michelfelder, mit einem Brandbrief ausgelöst. Er bat seine Revierleiter und die übrigen Kollegen um Verständnis für die anstehenden Sparmaßnahmen – und äußerte Unmut über den Mangel.
„Die Polizei ist erheblich unterfinanziert“, schreibt Michelfelder in seinem Brief, der der Stuttgarter Zeitung vorliegt. Für seine Polizeidirektion sei ein Defizit von etwa 140.000 Euro zu verkraften. Deswegen müssten Fortbildungen wegfallen und Reparaturen an Fahrzeugen aufgeschoben werden. Dienstsport könne nur noch stattfinden, wenn für den Weg zur Sportstätte keine Fahrtkosten anfallen. Auch müsse die Polizei „die Fahrtätigkeit drastisch einschränken“; Präsenzstreifen seien wegen der Spritkosten nicht mehr möglich; Streifenfahrten würden nur noch mit Auftrag stattfinden. Aufwendige Ermittlungsverfahren müssten zurückgestellt werden.
Die Sicherheit der Fahrzeuge darf nicht leiden
Wie viel von den 2,5 Millionen nach der Reduzierung des landesweiten Defizits bei der Stuttgarter Polizei als Minus stehen bleibt, verrät Stefan Keilbach nicht. Wohl aber, welche Einschnitte trotzdem noch notwendig sein werden. „Wir müssen zum Beispiel auf Fortbildungen verzichten“, sagt er. Zumindest dann, wenn die Veranstaltungen oder die Fahrt dorthin Kosten verursachen. Ansonsten sei das Sparen „nichts Neues“, so der Polizeisprecher, „das sind wir leider seit Jahren gewöhnt“.
Im Leitungskreis des Polizeipräsidiums werde bei jeder Autoreparatur geprüft, ob sie dringend notwendig sei. „Ein Kratzer am Außenspiegel wird dann eben nicht behoben“, die Sicherheit der Fahrzeuge dürfe aber nicht leiden. Aufgeschoben werden könnten auch Investitionen wie zusätzliche Laptops. Auch der Austausch eines Notstromaggregats in einem Einsatzfahrzeug könne auf der Streichliste landen.
Operatives Geschäft wird eingeschränkt
Aus der Sicht des Innenministers gelte eine Maxime bei allen Sparmaßnahmen: „Das operative Geschäft darf nicht leiden“, sagt Günter Loos, Pressesprecher im Ministerium. Die Sicherheit der Bürger dürfe nicht eingeschränkt werden – auch wenn das Land nur 80 Prozent des Defizits ausgleichen könne. „Das Budget ist seit Jahren gleich geblieben“, sagt Loos. Aufgestellt wurde es also noch von der alten schwarz-gelben Landesregierung. Nach dem Regierungswechsel sei einmal um 6,7 Millionen Euro erhöht worden, und nun um weitere 5,7 Millionen Euro. „Der Minister Reinhold Gall hat schon mehrfach betont, dass es einen Investitionsstau von 300 Millionen Euro bei der Polizei gibt“, so Loos.
„Wir wollen Verbrechensbekämpfung, keine Verbrechenskosmetik“, sagt der Waiblinger PD-Leiter Ralf Michelfelder. Daher seien die aktuellen Einschnitte sehr wohl Maßnahmen, die das operative Geschäft einschränken. Das findet auch der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Joachim Lautensack. „Die Polizei darf nicht nur rausfahren, wenn es brennt. Präsenzstreifen muss es geben.“ Ebenso seien Ersatzbeschaffungen von Schusswesten und Einsatzanzügen unverzichtbar. „Es darf weder an der Sicherheit der Bevölkerung noch an der Polizei gespart werden“, sagt der Landesvorsitzende.
Dass zugleich die sogenannte Einnahmeverpflichtung steige, bringe die Direktionen zusätzlich in Bedrängnis. Dabei geht es um die Gebühren, die etwa bei Gewahrsamsnahmen, Abschleppen von Fahrzeugen und ähnlichen Einsätzen anfallen. 50.000 bis 70.000 Euro sollen diese Gebühren pro Dienststelle im Jahr einbringen, das wird in das Budget eingerechnet. „Das ist nicht kalkulierbar. Die Polizei kann ja nicht einen Monat lang nur Dinge tun, die Geld bringen“, sagt Lautensack. Er habe schon vor einem Jahr vor dem „finanziellen Kollaps“ der Polizei gewarnt, „weil wir von Jahr zu Jahr eine größere Bugwelle vor uns herschieben“. Die Polizei, sagt Lautensack, brauche schlicht mehr Geld.

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