BILD, 17.08.2010
Mich bewacht KEIN Polizist
Von Michaela Steuer und Angelika Pickardt
Mörder, Serienvergewaltiger, Kinderschänder – sie leben mitten unter uns. Wegen des Straßburger Urteils für Menschrechte wurden mehrere Schwerverbrecher aus der Sicherungsverwahrung entlassen – bald könnten Hunderte weitere folgen.
Angeblich sollen sie überwacht werden. Aber wie sieht die Realität aus?
In der Sendung „maintower“ des Hessischen Rundfunks packte jetzt ein entlassener Schwerverbrecher aus!
Reinhard M. (53) saß seit 1972 fast ununterbrochen im Gefängnis, zuletzt in Sicherungsverwahrung in der JVA Schwalmstadt (Hessen). Seine letzte Verurteilung: 1986 wegen versuchten Mordes an einer Betreuerin. M. klagte bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Das Gericht in Straßburg gab ihm recht. Gutachter halten ihn für gefährlich – trotzdem ist er auf freiem Fuß.
Reinhard M. sagt: „Es gibt nichts Schöneres, Reizvolleres und Lebenswerteres als die Freiheit, denn die Freiheit ist mit nichts zu ersetzen.“
Aber wer schützt die Öffentlichkeit vor dem Mann, der als brandgefährlich eingestuft wird?
Reinhard M. selbst sagt, er habe noch nie gesehen, wie ein Polizist ihn auf der Straße verfolgt hat.
„Natürlich bin ich frei. Ich kann machen und tun, was ich will. Wenn ich in eine Kneipe oder ein Restaurant will, dann tu ich das wie jeder andere auch. Ich muss allerdings damit rechnen, dass sie hinter mir hergehen.“
Auch ein zweiter Schwerverbrecher äußerte sich im TV – auch er sagt, er bemerke nichts von einer Überwachung durch die Polizei. Er müsse sich lediglich alle zwei Wochen bei den Beamten und seinem Bewährungshelfer melden.
Laut Hessens Justizminister Jörg-Uwe Hahn ist alles in bester Ordnung: „Bei den Fällen in Hessen schlafe ich nachts sehr gut, weil ich weiß, dass die von einem engen Netz umgeben sind.“
Aber stimmt das tatsächlich?
Die Reporter von „maintower“ machten den Test: Sie verfolgten Reinhard M. einen Tag lang mit versteckter Kamera durch Marburg. Das Fazit: Keine Polizei war in seiner Nähe zu sehen. Niemand stieg mit ihm in den Bus, kein Auto verfolgte ihn..
Eine Rund-um-die-Uhr-Bewachung ist laut Heini Schmitt von der Polizeigewerkschaft Hessen personell auch gar nicht zu leisten.
„Für einen freigelassenen, als gefährlich eingestuften Straftäter würden wir 20 bis 30 oder gar 35 Mann benötigen. Wie soll das gehen?“
Im Klartext heißt das: Schwerverbrecher wie Reinhard M. leben als tickende Zeitbombe mitten unter uns.
Reinhard M. aber sagt: „Ich werde keine Straftaten mehr begehen. Weil ich auf den Genuss des Lebens gekommen bin. Und ich werde den Teufel tun, dagegen zu arbeiten.“