Die Welt, 02.07.2010

Organisierte Kriminalität: Fahnder fühlen sich schlecht gerüstet
Innenminister dringt auf Regeln für schärfere Überwachung – Kriminelle immer aktiver – Warnung vor „industriellem Rauschgiftanbau“

von Christoph Wenzel

Berlin – Die Bitte, mit der sich die norwegische Polizei an das deutsche Bundeskriminalamt wandte, klang relativ einfach: Die Fahnder sollten anhand von Telekommunikationsdaten 18 Aufenthaltsorte von Personen ermitteln, die wegen Drogenhandels gesucht wurden. Doch die deutschen Fahnder mussten ihre norwegischen Kollegen enttäuschen: Die Daten seien bei den Providern nicht verfügbar gewesen, berichteten BKA-Chef Jörg Ziercke und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) gestern bei der Vorstellung des bundesweiten Lagebildes zur organisierten Kriminalität (OK) in Berlin.

„Wir brauchen zur Aufklärung der organisierten Kriminalität auch die entsprechenden Möglichkeiten, die Kommunikationswege der Täter aufzuklären“, sagte de Maizière. Bei der Telefonüberwachung seien die rechtlichen Rahmenbedingungen dafür ausreichend. „Aber beim Internet brauchen wir dringend eine verfassungskonforme Regelung zur Vorratsdatenspeicherung.“ Anfang März hatte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die bisherige gesetzliche Regelung gekippt. Damit können die Daten nicht mehr ohne Anlass für sechs Monate gespeichert werden.

Die Deutsche Polizeigewerkschaft unterstützt die Forderung des Ministers. Ihr Vorsitzender Rainer Wendt sagte: „In fast zwei Dritteln aller OK-Verfahren 2009 wurden Telefonüberwachungen durchgeführt. Die Bundesjustizministerin sollte nun endlich auch die Vorratsdatenspeicherung neu regeln, sodass die Polizei ein dringend notwendiges und rechtlich einwandfreies Ermittlungsinstrument an die Hand bekommt.“

Die innenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Gisela Piltz, warnte vor voreiligen Forderungen an Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP): „Einfach einen neuen Aufguss des Gesetzes wird es in Deutschland nicht geben.“

BKA-Chef Ziercke betonte, dass die Beweissicherung ohne die Überwachung von Telekommunikation immer schwerer werde. Zumal die Täterseite stark vernetzt, aber ganz abgeschottet vorgehe, gerade bei Delikten wie Geldwäsche. So konnten 2009 nur 113 Millionen Euro sichergestellt werden, ein Rückgang von einem Drittel gegenüber dem Vorjahr (169,9 Millionen Euro). Dabei betrug der Schaden, den die Behörden feststellten, 1,3 Milliarden Euro – fast eine Verdoppelung zum Vorjahr. Grund ist ein ungewöhnlich großer Fall von Anlagebetrug.

In Deutschland gab es im vergangenen Jahr 579 OK-Verfahren, vier mehr als 2008. „Die Bedrohung durch die organisierte Kriminalität in Deutschland bleibt hoch“, sagte de Maizière. In den bevölkerungsreichen Bundesländern Bayern (96 Verfahren) und Nordrhein-Westfalen (88) sowie im Stadtstaat Berlin (81) ereigneten sich allein zusammen rund 46 Prozent der Fälle.

Straftaten im Zusammenhang mit Rauschgift lösten noch vor Eigentumsdelikten und Wirtschaftsverbrechen den Großteil der Ermittlungsverfahren aus (41 Prozent). Neben Verbrechen durch Drogenschmuggel steht zunehmend auch der professionelle Anbau von Cannabis in Deutschland im Fokus der Fahnder. „Wir reden hier nicht von ein paar Balkonpflanzen“, sagte de Maizière. Es gehe um „die industrielle Produktion von Drogen im Inland“ – etwa in technisch bestens ausgestatteten Fabrikhallen nahe der Grenze zu den Niederlanden.

Ein weiterer Schwerpunkt der Ermittlungen richtete sich gegen die italienische Mafia. Auslöser war ein sechsfacher Mord in Duisburg. Dort war im August 2007 die Fehde zwischen zwei verfeindeten Familien der ‚Ndrangheta, der kalabrischen Mafia, eskaliert. Über 70 Schüsse wurden abgegeben, sechs Menschen starben. Der Hauptverdächtige wurde 2009 in Amsterdam festgenommen. Für de Maizière ein weiterer Beleg, die internationale Zusammenarbeit der Behörden zu verstärken – zumal 90 Prozent der Verfahren einen internationalen Bezug in 122 Staaten gehabt hätten. Deshalb dringt er auf eine stärkere Zusammenarbeit: De Maizière wünscht sich Teams mit Mitgliedern aus bis zu sieben Ländern.

Zu Rockerbanden wie Hells Angels und Bandidos (21 Verfahren, Vorjahr 15) und möglichen Verboten äußerte sich der CDU-Politiker zurückhaltend: „Über Verbote spricht man nicht. Man prüft sie, und entweder macht man sie, oder man macht sie nicht.“

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