Hysterie gegen Linke
Von Lenny Reimann
Nach der über mehrere Monate andauernden Stimmungsmache gegen linke Organisationen durch Sicherheitsbehörden, etablierte Parteien und selbsternannte Leitmedien hat am Montag auch Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) in den Chor derjenigen eingestimmt, die ein verstärktes Vorgehen gegen die linke Szene in Deutschland fordern. So nutzte der CDU-Politiker die Vorstellung des Verfassungsschutzberichtes 2009, um an potentielle Demonstrationsveranstalter zu appellieren, sich entschlossener »von Gewalttätern aus dem linken politischen Lager zu distanzieren«. Neben verschiedenen Gliederungen der Partei Die Linke wie der Kommunistischen Plattform, dem Marxistischen Forum und der Sozialistischen Linken werden in dem Bericht auch die DKP, antifaschistische und antimilitaristische Organisationen sowie junge Welt als »verfassungsfeindlich« geführt.
Während Heinz Fromm, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz am Montag einen »signifikanten Anstieg« sogenannter linker Gewalt herbeischwadronierte, räumte der Bundesinnenminister ein, daß bislang zu wenig über aus der linken Szene stammende »Gewalttäter« bekannt sei. Tatsächlich untermauern auch die im Bericht veröffentlichten Zahlen über »Straftaten mit extremistischem Hintergrund« im Verhältnis betrachtet keineswegs einen signifikanten Anstieg im Phänomenbereich »Politisch motivierte Gewalt links«.
Angaben des Inlandsgeheimdienstes zufolge wurden 2009 insgesamt 24952 Straftaten mit politischem Hintergrund verübt. 18750 von Neonazis, 4734 von Linken und 707 aus dem als »Ausländerkriminalität« bezeichneten Millieu. 761 weitere Straftaten deuteten aufgrund der Tatumstände auf einen »extremistischen Hintergrund« hin, hätten jedoch nicht genauer zugeordnet werden können, heißt es im Bericht weiter.
Obwohl die Zahl sämtlicher neofaschistischer Straftaten somit viermal so hoch liegt wie die mit einem gemutmaßten linken Hintergrund, überschlugen sich die Medien gestern mit sattsam bekannten Warnungen vor zunehmender Militanz linker Gruppen. Seinem offenbar vorhandenen Verfolgungswahn freien Lauf ließ dabei der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt. »Es droht eine Renaissance des linken Terrorismus in einem neuen Gewand, geprägt von einem Haß auf den Staat und seine Eliten und mit dem Potential für neue und tödliche Anschlagswellen«, fabulierte er gegenüber Bild. Zudem forderte Wendt im Vorfeld von Demonstrationen, gründliche Durchsuchungen der Teilnehmer zuzulassen und »potentielle Gewalttäter« in Unterbindungsgewahrsam nehmen zu dürfen. Auf vergleichbarem Niveau äußerte sich der stellvertretende Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Bernhard Witthaut: »Es ist dringend notwendig, gegen gewaltbereiten Linksextremismus ebenso breite Bündnisse zu schmieden, wie es gegen die rechte Szene der Fall ist.«
Harsche Kritik an der »gezielt geschürten Haßkampagne« gegen die politische Linke übte indes der Vorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten, Heinrich Fink. »Es ist unerträglich, mit welchen Diffamierungen und offenen Lügen mittlerweile in diesem Land gegen engagierte Linke, Kriegsgegner und Antifaschisten vorgegangen wird«, äußerte er auf jW-Anfrage. Zudem verlangte Fink die sofortige Auflösung des Verfassungsschutzes. In Zeiten der Finanzkrise sollte man das viele Geld besser in die Bereiche Bildung und Soziales investieren.
Die Linke-Vorsitzende Gesine Lötzsch forderte ein sofortiges Ende der Überwachung ihrer Partei. Es sei einfach absurd, »daß es 20 Jahre nach dem Fall der Mauer möglich ist, daß eine Bundesregierung einen Geheimdienst dazu benutzt, um die linke Opposition in diesem Land einzuschüchtern«.
Junge Welt, 22.06.2010