Welt Online, 30. Juli 2010
Maybrit Illner wollte das Duisburger Desaster aufarbeiten. Für ihre Gäste war klar: Bei der Loveparade waren hauptsächlich Amateure am Werk.
Rainer Wendt ist richtig sauer. Der Chef der Polizeigewerkschaft, gebürtiger Duisburger, hat den Kopf schief gelegt. Seine Augen funkeln durch die Brillengläser. Dann bellt er in die Talkrunde bei Maybrit Illner: „21 Menschen sind gestorben. Wo kommen wir denn hin in diesem Land, wenn das nicht ausreicht, damit jemand politische Verantwortung übernimmt?“
Wendt zielt damit auf den Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU), der sich bisher jeglichen Rücktrittsforderungen nach dem Loveparade-Desaster vom 24. Juli verweigert. Doch Sauerland ist leider nicht anwesend. Auch der Veranstalter des Techno-Events, der Unternehmer Rainer Schaller, hat sich nicht ins ZDF-Hauptstadtstudio getraut. Dafür sind fünf Diskutanten gekommen, die in erster Linie über die beiden richten wollen.
„Tanz in den Tod: Warum wurde die Loveparade zur Katastrophe?“ Unter dem reißerischen Titel soll das Drama des vergangenen Wochenendes in Worte gefasst werden. Wie groß war der Druck auf die Verantwortlichen in Duisburg? Welche Fehler führten zu der Katastrophe? Wer hat wann, wo, wie versagt? Spannende Fragen, die Illner mit ihren Gästen diskutieren und beantworten will. Doch vieles bleibt im Vagen, im Ungefähren. Vielleicht, weil die Staatsanwaltschaft noch am Anfang ihrer Ermittlungen steht. Wohl aber auch, weil sich Veranstalter und Oberbürgermeister nicht in die Runde der Talkmasterin setzen wollten.
Manuel Lippka, Techno-Fan: „Vielleicht kann es in Berlin noch mal eine Loveparade geben.“
Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft: „Es ist ein Zeugnis der Schlampigkeit, was da abgeliefert wurde. Das Sauerland von nichts gewusst hat, ist unvorstellbar!“
Fritz Pleitgen, Geschäftsführer „Ruhr.2010″ und ehemaliger WDR-Intendant sowie ARD-Vorsitzender: „Ich habe das Gefühl, dass eine Jagd auf die Schuldigen ausbricht, die für die Ermittlungen nicht förderlich ist.“
Paul van Dyk, Star-DJ und Musikproduzent: „Wenn man den Ort ständig wechselt, kann man nicht von einem erprobten Konzept sprechen. Im Netz gab es sehr viele Informationen darauf, dass das Ganze da gefährlich wird.“
Dafür sind andere gekommen. Fritz Pleitgen etwa, der ehemalige ARD-Vorsitzende, der sich jetzt als Geschäftsführer der „Ruhr.2010“ um eine Image-Politur des ehemaligen Kohlenpotts bemüht. Und der die Loveparade unbedingt im Revier haben wollte, „um auch die jungen Menschen anzusprechen.“
Jetzt verspürt er so etwas wie moralische Verantwortung, er gibt das offen zu. Eindringlich schildert er seine Erlebnisse am Katastrophentag. Pleitgen erzählt, wie er nach den ersten Tickermeldungen nach Duisburg fährt. Und dort sein junger Fahrer verzweifelt seine zwei Brüder sucht, die er in der Menschenmenge vermutet. Pleitgen wirkt immer noch schockiert von den Ereignissen. Vielleicht auch deshalb möchte er die Schuldfrage nicht eindeutig beantworten.
Dagegen macht Polizeigewerkschaftler Rainer Wendt klare Ansagen: Schuld seien alleine die Stadt Duisburg und der Veranstalter. Die Polizei nimmt er ausdrücklich in Schutz. Er geht sogar noch weiter: „Ohne den Einsatz der Polizei hätte es noch mehr Opfer gegeben. Die Polizei hat da eine sehr gute Arbeit gemacht.“ Er bekommt viel Applaus für diese Sätze. Wendt betont mehrfach, im Vorfeld der Loveparade – auch in Zeitungsinterviews – auf gravierende Sicherheitsmängel im Veranstaltungskonzept hingewiesen zu haben. Das sei von der Stadt ignoriert worden, deshalb müsse nun „die Rolle der Duisburger Spitzenbeamten ganz genau untersucht werden“. Schließlich bekämen diese ja auch saftige Gehälter. Er selbst bekommt wieder Applaus vom Studiopublikum.
Auch der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach haut in die gleiche Kerbe. „Veranstaltungen dieser Größe sind fester Bestandteil unseres kulturellen Lebens. Aber doch nicht unter diesen Bedingungen!“ Das Veranstaltungsgelände sei zu eng, dazu noch umzäunt gewesen. Die Kooperation zwischen Veranstalter, genehmigenden Behörden, Polizei und Feuerwehr habe nicht funktioniert. Eine Massenveranstaltung bedürfe langer Planung, aber in Duisburg sei „das in den letzten Tagen alles hopplahopp“ verlaufen. Wie Wendt fordert Bosbach seinen Parteikollegen Sauerland zum Rücktritt auf – allerdings indirekt. Bosbach wünscht, dass der Oberbürgermeister „von selbst zu der richtigen Entscheidung kommt“.
Als der Sicherheitspolitiker dann noch eine neue Landesbehörde ins Spiel bringt, die künftig Großveranstaltungen genehmigen könnte, wird es Paul van Dyk zuviel der Bürokratie. Der Techno-DJ, der nahezu jedes Wochenende um die Welt jettet und auf Groß-Raves auflegt, nennt die Forderung „absurd“. Er benutzt das Wort oft an diesem Abend. Ihn wurmt es besonders, dass jemand wie Rainer Schaller überhaupt die Loveparade veranstalten durfte. Schließlich sei der Mann in erster Linie Inhaber einer Fitnesskette. Mangels Erfahrung habe er grobe Fehler begangen: „Es geht hier doch um simple Punkte“, stellt der smarte DJ fest, „Eingang und Ausgang müssen auf solchen Veranstaltungsgeländen an verschiedenen Stellen sein. Das ist einfach nicht gemacht worden.“
Die Situation im Duisburger Todestunnel schildert der Techno-Fan Manuel Lippka. Der 30-jährige Familienvater hat erst gar nicht begriffen, in welcher Gefahr er sich befand. „Die Menschen um mich herum sahen verschwitzt und fertig aus, aber das kennt man ja von vielen Großveranstaltungen.“ Der Schrecken sei erst im Nachhinein gekommen. Dass 21 Menschen gestorben sind, könne er immer noch nicht fassen. Auch Lippka fragt sich, wie für ein derart kleines Gelände solch eine Massenveranstaltung genehmigt werden konnte. Zudem ist Lippka traurig: Weil es die Veranstaltung nicht mehr geben wird, die er seit zwölf Jahren besucht hat. Und die ihm sehr ans Herz gewachsen sei.
Der Erkenntnisgewinn hält sich nach Illners Talkstunde in Grenzen. Die Politik denkt über Schuldfragen und künftige Konzepte nach. Die Technogemeinde betrauert die Toten – und das Ende einer Ära, die einmal unter dem saloppen Motto von „Friede, Freude, Eierkuchen“ lief. Das Ereignis bleibt grauenhaft, die genauen Abläufe sind weiterhin nur schwer zu erfassen. Viele Zahnräder sollten in Duisburg ineinander greifen – welche versagt haben wird die Staatsanwaltschaft hoffentlich bald klären. Maybrit Illner konnte ihren Gästen nur eine Plattform bieten, auf der sie ihrer Wut, ihrer Trauer und ihren Schuldentwürfen Ausdruck verleihen konnten. Aber vielleicht ist das auch das Beste, was die Sendung erreichen konnte.
FAZ, 30. Juli 2010
Loveparade in Duisburg
Bosbach: Sauerland trägt die Verantwortung
Nach der Massenpanik bei der Loveparade mit 21 Toten sehen auch Unionspolitiker die politische Verantwortung bei Duisburgs Oberbürgermeister Sauerland. Er hafte für mögliche Fehler seiner Mitarbeiter. Das Techno-Festival hätte „nie und nimmer“ genehmigt werden dürfen.
Nach der Katastrophe bei der Duisburger Loveparade, wo bei einer Massenpanik 21 Menschen ums Leben kamen, hat jetzt auch ein CDU-Politiker dem Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) den Rücktritt nahegelegt. Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach, sagte am Donnerstagabend im ZDF, Sauerland trage die politische Verantwortung und „hafte“ damit auch politisch für mögliche Fehler seiner Mitarbeiter.
„Ob ich eine Verfügung unterschrieben habe oder nicht, ist völlig zweitrangig“, sagte Bosbach mit Blick auf Sauerlands Beteuerung, er habe „nichts unterschrieben“. Zwar könne er verstehen, dass Sauerland nicht mit einem Rücktritt den Eindruck eines möglicherweise sogar strafrechtlich relevanten Schuldeingeständnisses erwecken wolle. Ein solches Amt sei aber „nicht nur mit Würde, sondern gelegentlich auch mit einer Bürde verbunden“, sagte Bosbach. Zudem seien Politiker abhängig vom Vertrauen der Bürger. Er würde sich wünschen, dass Sauerland „selber zu der richtigen Entscheidung kommt und nicht nur auf Druck von außen reagiert“, fügte Bosbach hinzu.
Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, stimmte Bosbach in der Sendung zu: „Wo kommen wir überhaupt hin, wenn nicht 21 Tote Anlass dafür sind, politische Verantwortung zu übernehmen und zurückzutreten?“ Sauerland, den er seit Jahrzehnten als anständigen Menschen schätze, sei seiner Aufgabe als Behördenleiter nicht gerecht geworden.
Die Loveparade hätte nach Einschätzung des CSU-Innenpolitikers Hans-Peter Uhl „nie und nimmer“ genehmigt werden dürfen. Der Fall liege jetzt glasklar vor, sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion der „Financial Times Deutschland“. Uhl kritisierte den Auflagenbescheid hart: „Jeder Obsthändler, der in der Münchner Fußgängerzone einen Stand eröffnen will, muss mehr nachweisen“, sagte er. Die Gefahren seien überhaupt nicht benannt und geklärt. Dass Sauerland die Verantwortung für die Massenpanik bei der Techno-Party zurückwies, weil er keine einzige Genehmigung unterschrieben habe, ließ Uhl nicht gelten. „Auflagenbescheide unterschreibt der Oberbürgermeister nie selbst, aber sie werden in seinem Auftrag unterschrieben, und er hat als Chef der Stadtverwaltung die Verantwortung.“
Uhl sieht auch bei der Polizeiführung in Duisburg eine „Teilschuld“. Es gebe keinen Raum, in dem die Polizei keine Verantwortung trage, argumentierte er: „Die Polizeiführung hat die gesetzliche Pflicht, die Sicherheit zu gewährleisten. Wenn sie den Bescheid erst über den Umweg der Feuerwehr bekommen hat und vor Ort feststellt, dass Gefahr in Verzug ist, hätte sie die Veranstaltung abbrechen müssen.“
In Duisburg hatten Hunderte Menschen bei einer Demonstration vor dem Rathaus Sauerlands Rücktritt gefordert. Auch die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Innenminister Ralf Jäger drängten den CDU-Politiker zum Rückzug. Sauerland selbst lehnte dies weiter strikt ab und wies auch jede persönliche Verantwortung zurück. Über persönliche Konsequenzen will er erst entscheiden, wenn die Ursache des Unglücks geklärt ist. Bei der Love-Parade waren 21 Menschen erdrückt und mehr als 500 verletzt worden.
TV-Kritik: Maybrit Illner „Bei der Loveparade ging es hopplahopp“
30.07.2010, 08:41 2010-07-30 08:41:54 Süddeutsche Zeitung
Eine kleine Nachtkritik von Ralph Pfister
Tage nach dem Inferno von Duisburg fragt auch Maybrit Illner im ZDF nach den Gründen für die Katastrophe. DJ Paul van Dyk wundert sich, Ruhr-Förderer Pleitgen relativiert.
„Wie kann es sein, das so was passiert, wie kann man ein so kleines Gelände auswählen, das einzäunen und auch nur durch einen Tunnel zugänglich machen?“, fragt Manuel Lippka, Augenzeuge der Katastrophe auf der Duisburger Loveparade. Zu diesem Zeitpunkt sind in Maybrit Illners ZDF-Talkshow schon 50 Minuten vergangen. Dass die Frage nun kommt, zeigt, wie wenig näher die Runde der Antwort auf die im Titel gestellte Frage gekommen ist: „Tanz in den Tod – Warum wurde die Loveparade zur Katastrophe?“
„Tanz in den Tod: Warum wurde die Loveparade zur Katastrophe?“ – zu diesem Thema diskutierte Maybrit Illner mit ihren Gästen, u.a. Wolfgang Bosbach und Fritz Pleitgen. (© ag.ddp)
Zu greifen bekommen die Moderatorin und ihre Gäste das Warum nicht. Lippka, der Augenzeuge, darf ganz zu Beginn schildern, wie er das Gedränge im Tunnel erlebt hat. Er tut es ruhig, mit bedachten Worten – denn Angst hatte er, wie er sagt, nicht, er stand mittendrin, hat aber gar nicht recht mitbekommen, was weiter vorne geschah.
Auch in der Gesprächsrunde ist er mittendrin, aber erst ganz zum Schluss wieder dabei. Bis dahin verschwindet er zwischen Fritz Pleitgen, der als Geschäftführer von Ruhr 2010 ehrlich betroffen wirkt, Rainer Wendt, der als Chef der Polizeigewerkschaft in bester Funktionärsmanier die Flagge der Sicherheitskräfte hochhält, und Wolfgang Bosbach (CDU), der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, der gemeinsam mit DJ Paul van Dyk die klarste Entrüstung zeigt.
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Pleitgen, der frühere WDR-Intendant, hat in die Sendung gefunden, weil er als einziger im weiteren Kreis um die Veranstaltung von Verantwortung sprach. Er fühlt sich moralisch mitverantwortlich. Die Loveparade war Teil des Programms von Ruhr 2010, Pleitgen erlebte den Beginn direkt vor Ort. Später, als ihn die Meldungen zu den Toten und Verletzten erreichten, fuhr er zurück nach Duisburg und erlebte die Arbeit des Krisenstabs hautnah. Bei Illner merkt man Pleitgen die tiefe Betroffenheit an, den anderen Gästen lauscht er mit gezeichneter, meist starrer Miene.
Schnelle Schuldzuweisungen sind seine Sache nicht. Er redet eher davon, dass wohl nicht alles bedacht worden sei, kann sich aber nicht vorstellen, dass Sicherheitsbedenken keine Rolle bei den Verantwortlichen gespielt hätten. Von Bedenken im Vorfeld habe er nie gehört.
Einfach mal so weggewischt
Das wollen weder Politiker Bosbach (CDU) noch Polizeigewerkschafts-Chef Wendt so stehen lassen. Bosbach spricht von „massiven Sicherheitsbedenken“, Wendt zählt auf „das Duisburger Polizeipräsidium, ich habe es gesagt, alles stand in der Zeitung…“. Auf Pleitgens gemurmeltes „Das möchte ich sehen“ schiebt Wendt ein bissiges „Aber gerne!“ hinterher – samt der Offerte, Pleitgen die Artikel zuzuschicken. Der Ex-WDR-Chef kennt sich normalerweise in der Medienlandschaft gut aus.
DJ Paul van Dyk reibt sich im Anschluss besonders an Pleitgens Einschätzung, die Loveparade sei ein erprobtes Format gewesen. So seien die Veranstalter der Loveparade nach der Übernahme 2006 „letztendlich eine Fitnesskette, die mit Großveranstaltung wenig zu tun haben“ – und nicht die tatsächlich erfahrenen früheren Organisatoren, so Paul van Djk. Die Neuen seien „Leute, die diese Verantwortung nicht übernehmen können, weil sie nicht wissen, wie es geht.“ Zum anderen sei es ihm „ein Riesenrätsel“, wie es sein könne, dass das Fachwissen von Polizei und Feuerwehr vor Ort „von einem geltungssüchtigen Politiker einfach mal so weggewischt wird“.
Das trägt van Dyk den ersten Publikumsapplaus ein.
Die Diskussion danach dreht sich um Verantwortlichkeiten und Abläufe bei den Genehmigungen und dem Sicherheitskonzept. Am Pult befragt die ZDF-Moderatorin den Sicherheitsspezialisten Carsten Simon nach Schwachstellen im Konzept („ganz klar der Tunnel“) und der Verantwortung („ganz klar der Veranstalter“).
CDU-Politiker Bosbach erzürnen vor allem zwei Dinge. Das eine ist die Organisation, bei der Duisburg drei Jahre Zeit gehabt hätte, „und dann ging alles in den letzten Tagen hopplahopp“. Man hätte sich viel mehr mit dem Thema Sicherheit beschäftigen müssen- besonders, nachdem Bochum die Loveparade im Vorjahr deshalb abgesagt hatte. Das andere ist das Schweigen der Verantwortlichen. „Was mich so betroffen macht, ist, dass danach jeder sagt, ‚Das Ergebnis ist fürchterlich, aber ich, ich hab nichts unterschrieben, ich war nicht zuständig‘ „, erklärt der Bundestagspolitiker.
Stattdessen zeige jeder auf den anderen. „Wir haben 21 Tote zu beklagen, wir haben 500 Verletzte, Angehörige und Hinterbliebene trauern und erwarten Antworten“, redet sich der CDU-Mann in Rage. „Da kann man nicht sagen, die Staatsanwaltschaft ermittelt, bleibt entspannt, das dauert eben seine Zeit!“ Die Menschen hätten ein Recht darauf, dass die Politik ehrlich Auskunft erteilt.
Antworten sind Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller und die Spitzen der Stadt Duisburg nicht nur in ihrer Pressekonferenz am vergangenen Sonntag schuldig geblieben. Illners Redaktion hatte offenbar alle angefragt – keiner kam.
Also diskutierten andere darüber, ob die Schuld Veranstalter Rainer Schaller, Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland, diverse Dezernenten und Verwaltungsangestellte oder alle zusammen tragen. Wendt sorgte mit seinem Erscheinen wohl dafür, dass die Polizei aus der Schulddiskussion verschwindet. Der Sicherheitsexperte wie Augenzeuge Lippka bescheinigen ihr gute Arbeit, Paul van Dyk lobt das britische Beispiel: „Die Polizei hat dort die letzte Entscheidungsgewalt, ob ein Event durchgeführt wird oder nicht.“ Das fehlt Wendt in Deutschland.
Simple Selbstverständlichkeit
Neben der Frage nach den Schuldigen gibt es noch eine andere. „Warum hat keiner die Notbremse gezogen?“, bringt es Illner auf den Punkt. Beackert wird dieses Feld dann jedoch von Pleitgen. Mit Verweis auf den breiten Chor von Stimmen, der jetzt sein „Ich habe es euch gesagt“ anstimmt, von Bedenken erzählt, interne Papiere vorzeigt, verweist er auf den langen Vorlauf des Projekts, es habe sogar eine öffentliche Begehung gegeben. „Danach habe ich keine Berichte gesehen, in denen gesagt wird, das ist eine Todesfalle.“
Wenn das alles so gewesen sei, müsse es doch von Rechts wegen eine Notbremse geben und hätten sich doch die, die mit ihrer Kritik auf taube Ohren stießen, an die Öffentlichkeit wenden müssen. Warum das keiner offensiv genug getan hat, warum Bedenken zumindest überregional nicht in den Medien stattfanden, das bleibt in der Folge leider außen vor.
In gewisser Weise stellen Wendts Forderung nach dem Einverständnis der Polizei für Großevents oder Bosbachs Vorschlag für zentrale Landesstellen, die bei Massenveranstaltungen mit an Bord geholt werden müssen, Ansätze derartiger Notbremsen dar.
Van Dyk hat eine einfachere Sicht. Ihn entsetzt besonders die Schaffung neuer Behörden: „Wir diskutieren hier tatsächlich darum, etwas einzurichten, das letztendlich dafür sorgt, dass Politiker nicht einfach über die klaren Sicherheitsinteressen, die die Fachleute auf den Tisch legen bei einem Event, hinweggehen. Das finde ich absurd.“ Sein Vorschlag: Auf die Fachleute vor Ort hören, nicht über deren Bedenken hinweg setzen. Zum Schluss stößt das in der Runde auf breite Zustimmung.
Die Tragik liegt darin, dass es für diese Selbstverständlichkeit nicht nur 60 Minuten Talkshow brauchte. Sondern 21 Tote und 500 Verletzte.
Handelsblatt, 30. Juli 2010-07-30
Loveparade-Tragödie: CDU-Parteikollege legt OB Sauerland Rücktritt nahe
Duisburgs Oberbürgermeister Sauerland klammert sich mit Vehemenz an seinem Amt. Doch der Druck wird immer unerträglicher – und mittlerweile erheben sich auch in der CDU die ersten Stimmen, die dem Parteikollegen – noch indirekt – zum Rücktritt auffordern.
CDU-Politiker Bosbach wünscht sich, dass Duisburgs OB nicht nur „auf Druck von außen reagiert“.
HB BERLIN. Nach der Massenpanik bei der Love-Parade wird dem Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland auch in der CDU der Rücktritt nahe gelegt. Der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Wolfgang Bosbach, sagte am Donnerstagabend im ZDF, sein Parteifreund Sauerland trage die politische Verantwortung und hafte damit auch politisch für mögliche Fehler seiner Mitarbeiter. „Ob ich eine Verfügung unterschrieben habe oder nicht, ist völlig zweitrangig“, sagte der CDU-Politiker.
Bosbach sagte, er könne verstehen, dass Sauerland nicht mit einem Rücktritt den Eindruck eines möglicherweise auch strafrechtlich relevanten Schuldeingeständnisses erwecken wolle.
Das Amt eines Bürgermeisters sei aber nicht nur mit Würde, sondern gelegentlich auch mit einer Bürde verbunden. Zudem seien Politiker abhängig vom Vertrauen der Bürger. Er würde sich wünschen, dass Sauerland „selber zu der richtigen Entscheidung kommt und nicht nur auf Druck von außen reagiert“, fügte Bosbach hinzu.
Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, stimmte Bosbach in der Sendung zu: „Wo kommen wir überhaupt hin, wenn nicht 21 Tote Anlass dafür sind, politische Verantwortung zu übernehmen und zurückzutreten?“ Sauerland, den er seit Jahrzehnten als anständigen Menschen schätze, sei seiner Aufgabe als Behördenleiter nicht gerecht geworden.
Dass Sauerland sich mit solcher Vehemenz an sein Amt klammert, könnte auch finanzielle Gründe haben. Der CDU-Politiker würde bei einem freiwilligen Rücktritt seine komplette Pension verlieren. Das berichtete die „Neue Presse“ unter Berufung auf den Steuerzahlerbund Nordrhein-Westfalen. Verloren wären damit auch die Pensionsansprüche, die sich Sauerland vor der Wahl 2004 in langen Jahren als Oberstudienrat im benachbarten Krefeld erworben hat. „Das ist knallhart“, zitiert die Zeitung den Justiziar des Steuerzahlerbundes, Heinz Wirz. Sauerland müsse sich in diesem Fall in der gesetzlichen Rentenversicherung nachversichern.
In Duisburg hatten Hunderte Menschen bei einer Demonstration vor dem Rathaus Sauerlands Rücktritt gefordert. Auch die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft und Innenminister Ralf Jäger drängten den CDU-Politiker zum Rückzug.
Sauerland selbst lehnte dies weiter strikt ab und wies auch jede persönliche Verantwortung zurück. Über persönliche Konsequenzen will er erst entscheiden, wenn die Ursache des Unglücks geklärt ist. Bei der Love-Parade waren 21 Menschen erdrückt und mehr als 500 verletzt worden.