FAZ, 21.07.2010
„Auch die CSU ist für die Unsicherheit verantwortlich“
Nach dem Urteil des Gerichtshofs für Menschenrechte in Straßburg wird die Sicherungsverwahrung neu geregelt. Die CSU beklagt „Schutzlücken“ im Konzept von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die im F.A.Z.-Gespräch die bayerischen Bedenken zurückweist.
19. Juli 2010
Frau Ministerin, wo sind die Lücken Ihres Konzepts?
Mein Konzept schließt Lücken. Die geplante Reform des Bundesjustizministeriums schafft mehr Sicherheit – so planen wir etwa eine vorbehaltene Sicherungsverwahrung für Ersttäter. Die nachträgliche Sicherungsverwahrung gilt bekanntlich nur bei neuen Tatsachen, die sich im Strafvollzug zeigen, das heißt momentan in gut einem Dutzend Fällen.
Aber was ist, wenn sich die Gefährlichkeit eines Täters erst während der Haft herausstellt und die Sicherungsverwahrung nicht im Urteil vorbehalten wurde?
Die nachträgliche Sicherungsverwahrung soll überflüssig werden, weil quasi ein Filter – die vorbehaltene Sicherungsverwahrung – dafür sorgt, dass notorisch gefährliche Schwerverbrecher schon bei der Verurteilung als solche erkannt werden. Die Richter, die sich intensiv mit der Tat und dem Täter befassen, müssen künftig im Strafverfahren entscheiden, ob es nach der Haft wieder zu Taten kommen kann. In besonderen Einzelfällen gibt es nach den Gesetzen der Länder die Möglichkeit, psychisch kranke Täter in geschlossene Anstalten einzuweisen. Darauf hat der Innenminister von Thüringen hingewiesen. Außerdem soll die Polizei stärker überwachen können, indem die elektronische Aufenthaltsüberwachung nach der Sicherungsverwahrung eingeführt wird.
Ist die Rundumüberwachung eines Menschen, der seine Haft verbüßt hat und der auch aus anderem Grund nicht länger eingesperrt werden darf, mit dem Grundgesetz vereinbar?
Auch diese Verwerfungen hat das geltende Recht hervorgebracht. Es geht zwar nur um ganz wenige Einzelfälle, aber der Kernbereichsschutz des Grundgesetzes muss beachtet werden. Gleichzeitig brauchen wir einen wirksamen Schutz der Allgemeinheit.
Lautet nicht die Arbeitsteilung: Die CSU für den Schutz der Allgemeinheit, die FDP für die Freiheit des Einzelnen?
Mein Konzept heißt: Mehr Schutz für die Bürger, mehr Rechtssicherheit und mehr Rechtsstaatlichkeit. Wer hat denn das geltende Recht geschaffen, das zu so viel Unsicherheit geführt hat? Doch auch die CSU über den Bundesrat.
Hat nicht erst das Straßburger Urteil die Unsicherheit geschaffen – ein Urteil, das ja nicht automatisch deutsche Gesetze aufhebt?
Die Reform ist keine Reaktion auf das Urteil. Die Unsicherheit bestand schon lange, weil die Hektik ständiger Einzelreparaturen eine unübersichtliche Rechtslage geschaffen hat. Mit diesen Sicherheitsrisiken will ich jetzt Schluss machen. Das haben wir im Koalitionsvertrag verabredet.
Der Streit über die Sicherungsverwahrung – sieht so der Sommerfrieden in der Koalition aus?
Ich hoffe, dass dieses sensible Thema mit der notwendigen Sachlichkeit diskutiert werden kann. Und ich freue mich über die Unterstützung der Deutschen Polizeigewerkschaft. Nur auf der Grundlage des Entwurfes des Bundesjustizministeriums können konkrete Änderungswünsche diskutiert werden, um eine gemeinsame Linie zu finden.