Mitteldeutsche Zeitung, 01.07.2010
Organisierte Kriminalität
Internet-Kommunikation macht Polizei zu schaffen
Berlin/dpa. Die organisierte Kriminalität in Deutschland stellt die Ermittler zunehmend vor große Herausforderungen. Wegen des Internets und anderer neuer Techniken werde die Beweisführung schwieriger, sagte der Chef des Bundeskriminalamtes (BKA), Jörg Ziercke, am Donnerstag in Berlin. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) sagte, die Täter seien oft international vernetzt. Die Ermittlungen seien umfangreich. «Die Bedrohung durch organisierte Kriminalität in Deutschland ist weiterhin hoch», sagte er.
Ziercke erklärte, die Telefonüberwachung spiele für die Ermittler eine große Rolle. Wenn die Telefonate jedoch mehr und mehr – verschlüsselt – über das Internet geführt würden, stünden die Beamten vor erheblichen Beweisproblemen. Zudem erschwerten neue elektronische Zahlungssysteme im Internet die Bekämpfung der Geldwäsche. Ziercke und de Maizière bekräftigten ihre Forderung, schnell ein neues Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung zu erlassen.
Die Ermittler bräuchten die Möglichkeit, die Kommunikationswege der Täter aufzuklären, bekräftigte de Maizière. Anfang März hatte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe die bisherige gesetzliche Regelung gekippt. Damit können Telefon- und Internetdaten nicht mehr ohne Anlass für sechs Monate gespeichert werden. Das neue Gesetz müsste aus dem Haus von Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) kommen, die jedoch keine Eile sieht.
Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, forderte Leutheusser-Schnarrenberger ebenfalls auf, zügig eine neue gesetzliche Regelung auf den Weg zu bringen. Die innenpolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion, Gisela Piltz, entgegnete, es werde nicht einfach einen neuen Aufguss des alten Gesetzes geben. «Vielmehr muss schwerste Kriminalität mit verhältnismäßigen Mitteln zielgenau bekämpft werden, ohne alle Menschen unter Generalverdacht zu stellen», sagte sie laut Mitteilung in Berlin.
In Deutschland wurden im vergangenen Jahr 579 Ermittlungsverfahren zur organisierten Kriminalität geführt – das waren vier mehr als 2008. De Maizière wertete dies positiv: «Wir rechnen damit, dass mehr Ermittlungsverfahren mehr Aufklärung bedeutet.» Zugleich sank aber die Zahl der Tatverdächtigen – und zwar auf 9294. Damit wurde der niedrigste Stand seit 2000 erreicht. Die Kriminellen richteten im Jahr 2009 einen Schaden von mehr als 1,3 Milliarden Euro an.
Dabei machten sie reichlich Kasse: Die Gewinne der Täter stiegen im Vergleich zum Vorjahr um fast 40 Prozent auf etwa 903 Millionen Euro. Ziercke sagte, die Strukturen der organisierten Kriminalität könnten nur wirksam bekämpft werden, wenn den Gruppen dauerhaft der Gewinn entzogen werde. De Maizière räumte ein, dass man nur schwer an die Hintermänner der kriminellen Machenschaften komme. Die Gewinne würden oft sofort ins Ausland transferiert. Die Möglichkeiten der Ermittler sollen laut de Maizière verbessert werden. Die zuständige EU-Kommissarin wolle dazu im Herbst einen Bericht vorlegen.
Bei der organisierten Kriminalität in Deutschland geht es vor allem um Rauschgift- und Eigentumsdelikte, hier wiederum vor allem um Autodiebstähle. Nach Zierckes Angaben steigt die Zahl der Wagen, die dauerhaft verschwunden bleiben. Die Täter schlachteten die gestohlenen Autos nicht mehr in Deutschland aus, sondern brächten sie sofort ins Ausland. Dabei gebe es einen «anhaltend hohen Bedarf» in Süd- und Osteuropa sowie im Nahen und Mittleren Osten.