Kabinettsbeschluss
Opposition und Sozialverbände geißeln Sparpläne
Schon die Ahnung davon, was auf die Bundesbürger zukommen könnte, hatte abseits der Regierungskoalition für einen Sturm der Entrüstung gesorgt. Nun, da die Pläne auf dem Tisch liegen, müssten die Bürger handeln, fordern Opposition und Sozialverbände.
AP
SPD-Parteichef Sigmar Gabriel
Die milliardenschweren Sparpläne der Bundesregierung seien unausgewogen, unsozial und ökonomisch unsinnig, kritisierten Opposition und Sozialverbände am Montag einhellig. Linke und SPD kündigten öffentlichen Widerstand an. Die Gewerkschaften riefen zu Demonstrationen am Samstag in Stuttgart, Berlin und anderen Städten auf. Der Paritätische Wohlfahrtsverband warnte vor einem Auseinanderbrechen der Gesellschaft.
Zuvor hatte die Bundesregierung das größte Sparpaket in der bundesdeutschen Geschichte beschlossen. Bis 2014 sollen mehr als 80 Milliarden Euro eingespart werden. Die größten Einschnitte gibt es bei Sozialleistungen. Bei Hartz-IV-Empfängern will der Staat die Beiträge zur Rentenversicherung einsparen. Das Elterngeld wird insgesamt moderat gekürzt, für Hartz-IV-Empfänger gestrichen.
Schongang für Vermögende, Schleudergang für Arbeitslose
„Um es deutlich zu sagen: Mutti hat in der Waschmaschine den Schongang für Vermögende und für die Klientel der FDP eingelegt, den Schleudergang dagegen für Arbeitslose, Familien und für Kommunen“, sagte SPD-Chef Sigmar Gabriel in Anspielung auf Kanzlerin Angela Merkel (CDU), die im politischen Berlin auch „Mutti“ genannt wird. Mehr als die Hälfte des angestrebten Einsparvermögens sollten Arbeitslose und Familien bezahlen, so Gabriel.
Als „Luftbuchung“ bezeichnete er die angekündigte Abgabe der Banken. Abenteuerlich und ein Affront der Umweltbewegung sei die in Aussicht gestellte Abgabe für die Laufzeitverlängerung alter und gefährlicher Kernkraftwerke. „Ich würde mich schämen, ein solches Konzept vorzulegen“, betonte Gabriel.
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sagte, ihre Partei habe sich dafür ausgesprochen, dass man mit Blick auf die Beschäftigungssicherung einen Kahlschlag im Bereich Arbeitsmarktpolitik nicht akzeptieren werde. Zusammen mit den Gewerkschaften und Sozialverbänden wolle man Widerstand gegen die Kürzungspläne organisieren.
„Anschlag auf den sozialen Frieden“
Linke-Fraktionschef Gregor Gysi sagte: „Die Regierung Merkel/Westerwelle verübt mit ihren Streichvorhaben einen Anschlag auf den sozialen Frieden und die Demokratie im Land.“ Dagegen könne es nur eines geben: breiten öffentlichen Widerstand. „CDU/CSU und FDP lassen Rentnerinnen und Rentner, Arbeitslose, sozial Benachteiligte und Familien für die Zockerei der Banken und Spekulanten bluten“, erklärte Gysi.
Grünen-Chefin Claudia Roth monierte: „Das ist ein Sparprogramm der sozialen Kälte, der ökologischen Zukunftsvergessenheit und der globalen Verantwortungslosigkeit.“ Die Axt werde bei den Ärmsten angelegt, während große Vermögen und große Einkommen unangetastet davonkämen. „Es ist ein Programm der aktiven Reichtumspflege.“
Als Auftakt zu bundesweiten Protesten gegen die „falsche Sparpolitik der Bundesregierung“ luden die Gewerkschaften Ver.di und DGB in einem breiten Bündnis zu einer Großdemonstration in Stuttgart am 12. Juni ein. Auf der Kundgebung soll unter anderen Ver.di-Chef Frank Bsirske reden. Auch in Berlin ist eine Kundgebung geplant.
„Skrupelloses Sparen“ bei den Ärmsten
Als absolut inakzeptabel kritisierte auch der Paritätische Wohlfahrtsverband das Sparpaket. „Statt von den Starken zu nehmen, um den Schwachen zu helfen, wird skrupellos ausgerechnet bei den Ärmsten gespart“, kritisierte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider.
Der Sozialverband VdK Deutschland reagierte ebenfalls mit Unverständnis. VdK-Präsidentin Ulrike Mascher bezeichnete es als „völlig verfehlt, bei denjenigen Bevölkerungsgruppen den Rotstift anzusetzen, die bereits in Armut leben oder von Armut bedroht sind“. Die soziale Spaltung in Deutschland werde zunehmen, die Kluft zwischen Arm und Reich weiter wachsen.
„Fatale Folgen“
Attac kritisierte die geplanten Ausgabenkürzungen im Sozialbereich, bei Hartz-IV-Empfängern und anderen Arbeitslosen ebenfalls als unsozial. Stattdessen forderte das globalisierungskritische Netzwerk eine stärkere Belastung von Vermögen und hohen Einkommen.
Der Deutsche Beamtenbund dbb wandte sich gegen den geplanten Abbau von mehr als 10 000 Stellen beim Bund bis 2014. Dies werde „fatale Folgen“ haben, sagte dbb-Chef Peter Heesen. Der Bund beschäftigt nach dbb-Angaben derzeit rund 280 000 Beamte und Angestellte; hinzu kommen 183 000 Soldaten. Die Deutsche Polizeigewerkschaft befürchtet Stellenstreichungen bei der Bundespolizei und damit Abstriche bei der Sicherheit auf Bahnhöfen und Flughäfen.
Lob von Handelsverband und Städtebund
Lob bekam die Regierung dagegen vom Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) und dem Deutschen Städte – und Gemeindebund (DStGB). BGA-Präsident Anton Börner sagte: „Das geplante Sparpaket ist ein entschlossener Schritt, den aufgeblähten Staat wieder auf finanzierbare Pfade zurückzuführen.“ Beim Sparen müsse allem voran bei Bürokratie und Ausgaben angesetzt werden.
DStGB-Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg sagte, bei einer Gesamtverschuldung von 1,7 Billionen Euro von Bund, Ländern und Gemeinden müsse endlich der Weg aus dem Schuldensumpf gefunden werden. „Das geht nicht ohne Einschnitte auch im Sozialbereich.“
Focus online, 08.06.2010