Focus online, 05.10.2010

Oktoberfest 2010

Die Zahl der Straftaten ging nach Angaben der Polizei auf dem diesjährigen Oktoberfest zwar zurück, allerdings waren viele der Angriffe deutlich brutaler, als in den Jahren zuvor. Insgesamt 62 Mal schlugen Wiesn-Besucher dieses Jahr mit dem Maßkrug zu, zwei Fälle wertet die Polizei sogar als versuchte Tötungsdelikte.

Wenn auf dem Jubiläums-Oktoberfest zugeschlagen wurde, dann oft heftig – und mit schlimmen Folgen: Ein Australier erlitt durch einen Maßkrug-Schlag eine Hirnblutung, ein Dresdner ist auf einem Auge erblindet, ein Kanadier schwebte zeitweise sogar in Lebensgefahr. Zwar ging die Zahl der Straftaten auf der Wiesn gegenüber dem Vorjahr insgesamt zurück, doch die Brutalität erreichte eine neue Dimension. Insgesamt 62 Mal schlugen Wiesn-Besucher mit dem Maßkrug zu, zwei Fälle wertet die Polizei sogar als versuchte Tötungsdelikte. Die Einführung von Plastik-Krügen lehnen die Verantwortlichen dennoch ab.

Die Zahl der registrierten Maßkrug-Schläge stieg gegenüber dem Vorjahr um mehr als 40 Prozent. Gegen sechs der Schläger wurde bis Montagvormittag Haftbefehl erlassen. Auch die Zahl der gefährlichen Körperverletzungen insgesamt ist anstiegen. 140 (2009: 127) gefährliche Körperverletzungen zählte die Polizei in diesem Jahr.

Zwar seien die Kriminalitätszahlen zurückgegangen, „aber Extreme, die Angst und Schrecken verbreiten, nehmen zu“, beklagte Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) am Montag und sprach von einer „Brutalisierung“. Polizeisprecher Wolfgang Wenger betonte, diese Tendenz sei aber kein spezielles Phänomen des Oktoberfestes: „Diese Art der Gewalt ist überall in der Gesellschaft zu beobachten.“

Schwere Verletzungen
Bereits am ersten Wiesn-Wochenende war eine Gruppe in einem Festzelt mit einem 20-jährigen arbeitslosen Münchner in Streit geraten. Der aggressive Münchner verletzte den Kanadier am Kopf und weitere Beteiligte an Händen und Armen. Das Opfer erlitt durch den Schlag so schwere äußere und innere Verletzungen, dass es zeitweise in Lebensgefahr schwebte. Ein 32-jähriger Australier erlitt durch einen Maßkrug-Schlag auf den Kopf eine Gehirnblutung, als er einen Streit schlichten wollte.

Am vergangenen Samstag schlug in einem Festzelt ein Dresdner Hooligan einem Gast ins Gesicht. Als das Opfer am Boden lag, versetzte ihm der Mann weitere Schläge ins Gesicht. Ein anderer Unbekannter rammte einem 26-Jährigen einen Maßkrug ins Gesicht, so dass dieser auf einem Auge erblindete, eine Gehirnblutung und mehrere Platzwunden erlitt.

„Totaler Blödsinn“
Trotz der schweren Verletzungen durch Maßkrüge halten Polizei wie Wirte aber wenig davon, die traditionellen Gläser durch Plastik-Krüge zu ersetzen. „Der Maßkrug gehört zum bayerischen Brauchtum“, sagte der stellvertretende bayerische Landeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Hermann Vogelsang, der Nachrichtenagentur dapd. Zwar habe der Plastikbecher im Fußballstadion dazu beigetragen, dass die Zahl der gefährlichen Körperverletzungen zurückging. „Aber ein Volksfest ist etwas anderes als ein Fußballspiel.“ Ganz unterbinden ließen sich die Schlägereien sowieso nicht, sagte Vogelsang. Allerdings hofft er auf harte Strafen für die Täter: „Die Justiz muss zeigen, dass Maßkrug-Schlägereien kein Kavaliersdelikt, sondern im Bereich von Mord und Totschlag sind.“

Für den Sprecher der Wiesnwirte, Toni Roiderer, sind Plastikbecher in den Oktoberfestzelten undenkbar: „Der Plastikkrug ist totaler Blödsinn. Wenn der zersplittert, gibt es richtig scharfe Kanten.“ Die Festleitung will sich zu dem Thema erst gar nicht äußern – und verweist auf die Polizei. Auch Sprecher von Feuerwehr und Bayerischen Rotem Kreuz wollten zum Thema Plastik-Krug lieber nichts sagen. Am bayerischen Brauchtum mag vorerst offenbar niemand rütteln – aller Gewalt zum Trotz.

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