Süddeutsche Zeitung, 11.10.2010

Stuttgart (dpa) – Nach dem heftig kritisierten Polizeieinsatz bei einer Demonstration gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 hält die Landesspitze der Deutschen Polizeigewerkschaft weitere Einsätze von Wasserwerfern in der Landeshauptstadt für nahezu unmöglich.

«Die baden-württembergischen Wasserwerfer könnte man eigentlich sofort verschrotten. Ich mache jede Wette, dass Wasserwerfer nie mehr in Stuttgart eingesetzt werden – nicht einmal mehr aufgefahren werden dürfen», sagte der Landesvorsitzende Joachim Lautensack der Nachrichtenagentur dpa in Stuttgart.

Die Polizei war am 30. September mit vier Wasserwerfern, Pfefferspray und Schlagstöcken gegen Demonstranten vorgegangen, die dagegen protestierten, dass für das Milliardenvorhaben Stuttgart 21 alte Bäume gefällt werden. Es gab hunderte Verletzte – darunter auch Schüler und Rentner. Zudem wurden 35 Polizeibeamte von Demonstranten verletzt. «Dieser Polizeieinsatz hat auch die Polizei in gewisser Weise traumatisiert», erklärte Lautensack.

Die Beamten hätte Lautensacks Ansicht nach damit rechnen müssen, dass der Einsatz aus dem Ruder läuft. «Die Einsatzleitung hatte diese Eskalation aber offensichtlich nicht so im Blick und ganz sicherlich nicht beabsichtigt. Einsatzverläufe sind immer dynamisch.» Die Polizei könne den Konflikt um Stuttgart 21 nicht lösen und werde ihn auch in Zukunft nicht lösen können. Die Polizei sei immer nur «vollziehende» Institution. Lautensack begrüßte die Berufung des CDU-Politikers Heiner Geißler als Schlichter. «Kommunikation, Vermittlung, Denkpause, aufeinander zugehen. Das hätten wir schon viel früher gebraucht und das hätte früher mehr Sinn gemacht.»

Der Gewerkschafter kritisierte die «völlig einseitige Berichterstattung» über den Polizeieinsatz. «Ganz offensichtlich stehen die Medien auf der Seite der Projektgegner als vermeintliche Opfer staatlicher Willkür.» Insgesamt sei der Polizeieinsatz rechtlich zulässig gewesen.

Deutscher Sport Informationsdienst, 09.10.2010

Deutsche Fußball-Fans machen mobil

Veröffentlicht:
8 Oktober 2010 14:59

Verändert :
8 Oktober 2010 14:59

BERLIN – Einen Tag nach dem Qualifikationsspiel zwischen Deutschland und der Türkei werden am Samstag etwa 4.000 Anhänger für den Erhalt der Fankultur demonstrieren.

© dpa/Feature

Die Fans sehen diese durch zunehmende Kommerzialisierung und Restriktion seitens des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), der Deutschen Fußball Liga (DFL) und der Polizei gefährdet.

„Es ist fünf vor zwölf. Wir befinden uns bei der Verteidigung unserer Fankultur seit Jahren in Rückzugsgefechten. Den Leuten muss klar werden, dass man so die Fans vergrault und damit zwangsläufig die Stimmung in den Stadien tötet“, sagte Wilko Zicht vom Bündnis Aktiver Fußball-Fans (BAFF).

‚So schön is unsere Fankultur‘

In der von den Fanvereinigungen BAFF, Unsere Kurve und ProFans organisierten Demonstration sollen aber weniger andere Parteien kritisiert, sondern vielmehr die hiesige Fankultur mittels Kundgebungen und Spruchbändern in ein positives Licht gerückt werden. „Wir wollen den Leuten zeigen, wie schön unsere Fankultur eigentlich ist und dass es schade ist, dass sie derzeit auf dem Spiel steht“, erklärte Zicht.

Auf dem Spiel steht sie nach Meinung der Protestler durch zahlreiche Probleme wie steigende Eintrittspreise, willkürliche Stadionverbote, fanunfreundliche Anstoßzeiten und unverhältnismäßige Vorgehen der Polizei. Die Fans fühlen sich hier ungerecht behandelt – und vor allem machtlos.

Selbst die „AG Fandialog“, die beim Leipziger Fankongress vor drei Jahren von DFB und DFL mit dem Versprechen ins Leben gerufen wurde, die Anhänger an fanrelevanten Entscheidungen teilhaben zu lassen, sei nur ein Ablenkungsmanöver gewesen. „Dabei ist nichts herausgekommen. Das war nicht mehr als ein netter Plausch bei Kaffee und Kuchen“, sagte Zicht. Inzwischen seien die meisten Fanvertreter aus der AG wieder frustriert ausgetreten.

‚Abwesenheit von Selbstkritik‘

Noch schlechter ist es um das Verhältnis zwischen Fans und der Polizei bestellt. „Die Polizei ist Meister in der Rubrik ‚Abwesenheit von Selbstkritik‘. Die reden sich selbst die unglaublichsten Fehlverhalten schön“, sagte Zicht und warf vor allem Rainer Wendt, dem Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), eine „unverantwortliche Scharfmacherei“ vor, die „das Klima zwischen beiden Parteien unnötig vergiftet“.

Gegen diesen Vorwurf wehrt sich Wendt. „Das ist grober Unfug und kontraproduktiv. Ich nenne nur Missstände beim Namen, wenn zum Beispiel Fans das Gesetz in eigene Hände nehmen wollen“, sagte der DPolG-Chef dem SID. Das Verhältnis zu den Anhängern sei jedoch „weitgehend entspannt“. Auch halte er die Arbeit der Fangruppen für sehr hilfreich, denn: „Im Endeffekt wollen wir alle das gleiche: friedliche Fußballspiele.“

150 Fangruppen

Die Demonstration soll auch die Fans selbst zur Besinnung führen. „Es ist ja nicht so, dass wir nur Unschuldslämmer unter uns haben“, sagte Christian Bieberstein von der Vereinigung „Unsere Kurve“: „Auch wir müssen uns hinterfragen, was bei uns besser werden muss, damit wir die Fankultur retten können.“

Deshalb werden am Samstag selbst rivalisierende Fangruppen gemeinsam auf die Straße gehen – wenn auch in getrennten Blöcken und möglichst weit voneinander entfernt. „Getrennt bei den Farben – Vereint in der Sache“ – lautet hier das Motto. Anreisen werden etwa 150 Fangruppen aus 50 Vereinen von der Bundesliga bis zur Oberliga. Treffpunkt der Demo, die um 13.00 Uhr beginnt, ist das Rote Rathaus.

Schon in den vergangenen Wochen hatten die Anhänger in den Fankurven der Bundesligastadion mit entsprechenden Spruchbannern für die Demonstration geworben. Schon 2002 in Berlin und 2005 in Frankfurt/Main hatten Fans mittels einer Protestkundgebung ein Zeichen für den Erhalt der vielfältigen Fankultur in Deutschland gesetzt.

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