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Mitteldeutschland
Innenminister Ulbig nach Razzia: Null-Toleranz bei Rechts- und Linksextremismus
dpa
Dresden. Eine großangelegte Razzia gegen mutmaßliche Linksextremisten hat am Dienstag in Sachsen für Schlagzeilen gesorgt. Die Staatsanwaltschaft Dresden hat 16 Männer und eine Frau im Visier und wirft ihnen vor, aus einer kriminellen Vereinigung heraus agiert zu haben. Die Nachrichtenagentur dpa sprach mit Innenminister Markus Ulbig (CDU) über Extremismus. Er warnt davor, Linksextremismus in irgendeiner Weise zu tolerieren.
Haben wir es in Sachsen mit einer neuen Qualität des Linksextremismus zu tun? Woran lässt sich das festmachen?
Ulbig: „Wir weisen schon seit Jahren nicht nur auf den Rechtsextremismus sondern ebenso auf die Probleme und Entwicklungen beim Linksextremismus hin. 2010 gab es einen Anstieg bei Gewaltdelikten sowohl auf rechts- als auch linksextremistischer Seite. Besorgniserregend ist vor allem der starke Anstieg und neue Höchststand linksmotivierter Gewalt von 89 im Jahr 2009 auf 130 im Jahr 2010. Die Zahl rechter Gewaltstraftaten lag dagegen bei 98. In den meisten Fällen richtet sich die Gewalt direkt gegen Gegner des jeweils anderen Lagers. Das ist kein sächsisches Phänomen. Ich erinnere daran, dass der Bundesinnenminister 2010 sehr nachdrücklich auf die politische motivierte Gewalt von links hingewiesen hat.“
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Sachsen wurde bisher vor allem mit Rechtsextremismus in Verbindung gebracht. Ist ein erstarkter Linksextremismus als Reaktion auf diese Entwicklung zu sehen?
Ulbig: „Sachsen ist nach wie vor ein Brennpunkt rechtsextremistischer Tätigkeit. Allerdings sind die Personenzahlen rückläufig. Demgegenüber treten die Rechtsextremisten sehr viel aggressiver an die Öffentlichkeit. Dieses Problem will ich keineswegs kleinreden. Über den Rechtsextremismus zu reden, darf aber nicht heißen, dass wir über den Linksextremismus schweigen. Sogenannte antifaschistische Aktionen haben im linksextremen Spektrum sicher auch eine mobilisierende Wirkung. Aber das ist nur eines aus einem Strauß von Themen. Es ist allerdings das Thema, bei dem Linksextremisten am ehesten glauben, Gewaltanwendung in der Öffentlichkeit als legitim darstellen zu können.“
Welche Ursachen für den Linksextremismus sehen Sie?
Ulbig: „Gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Menschenverachtung besteht ein breiter gesellschaftlicher Konsens. Das machen sich die Linksextremisten zu Nutzen. Sie erklären sich zum Wort- und Aktionsführer gegen Nazis und verstecken sich damit inmitten der Gesellschaft. Nach dem Motto: Wer gegen Nazis ist, kann keine schlimmen Absichten hegen. Dabei wird übersehen, dass Rechts- und Linksextremismus eine entscheidende Gemeinsamkeit haben: Beide betrachten sich als Inhaber einer höheren Wahrheit. Beide fühlen sich deshalb als erhaben über den Regeln der Demokratie. In diesem selbstherrlichen Streben nach Macht steht ihnen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Wege, diese wollen sie beseitigen. Das ist die eigentliche Gefahr, die vom politischen Extremismus – egal welcher Couleur – ausgeht, da sie alle Menschen in diesem Land betrifft. Leider lebt heutzutage offenbar gefährlich, wer diese Gemeinsamkeiten offen anspricht. Erst jüngst haben zwei sächsische Extremismusforscher Morddrohungen aus der militanten linksextremistischen Szene per Post erhalten.“
Gewalt aus dem linksextremistischen Spektrum richtet sich auch gegen Polizisten. Wie kann dem wirksam begegnet werden bei Demonstrationen und Ausschreitungen – beispielsweise bei den Aufmärschen zum Jahrestag der Zerstörung Dresdens?
Ulbig: „Am 13. Februar ist Gewalt weitestgehend ausgeblieben. Das lag vor allem an dem breiten bürgerschaftlichen Engagement in Form der Menschenkette und an der konsequenten Umsetzung des Sicherheitskonzepts durch die Polizei. Gewalttäter sind in erster Linie auf Eskalation aus, das haben die Ereignisse am 19. Februar gezeigt. Diese Ausschreitungen am 19. Februar in Dresden gingen von rechten und linken Chaoten gleichermaßen aus. Dresden darf kein Aufmarschplatz von Gewalttätern sein! Wie dem zu begegnen ist, dazu möchte ich eine breite gesellschaftliche Diskussion anstoßen. In einem offenen Symposium mit Politikern, Juristen und vor allem mit Bürgern will die Staatsregierung Fragen stellen, Aufklärung leisten und Antworten geben. Der Titel der Veranstaltung am 20. Mai lautet: „Demokratische Rechte auch für Demokratiefeinde? – Der Rechtsstaat zwischen Neutralitätspflicht und öffentlicher Erwartung“.“