Martin Lutz| Die Welt

Bundespolizei soll jetzt auch Frachtverkehr prüfen
Geht es nach der Polizei, sollen Beamte künftig auch den Frachtverkehr kontrollieren. Unterstützung kommt aus der Politik.

Nach den Paketbomben aus dem Jemen und an das Kanzleramt ist eine Debatte darüber entbrannt, wie sich Flugpassagiere besser schützen lassen. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) fordert Sofortmaßnahmen. „Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass ab sofort keine Fracht mehr unkontrolliert als sogenannte Beiladung in Passagiermaschinen geladen wird. Nur so können die Fluggäste vor Bomben geschützt werden“, sagte der DPolG-Vorsitzende Rainer Wendt WELT ONLINE.

Er fordert, dass die Bundespolizei künftig auch für die Kontrolle der Fracht zuständig wird. „Dafür sollten unter Führung der Bundespolizei auch zuverlässige private Sicherheitsunternehmen eingesetzt werden“, sagte Wendt. Die Regierung sollte die Streichung von 1000 Stellen bei der Bundespolizei zurücknehmen: „Wir brauchen für die neuen Aufgaben mehr Personal.“

Der Innenausschuss-Vorsitzende im Bundestag, Wolfgang Bosbach (CDU), sagte dieser Zeitung, es spreche viel dafür, auch die Frachtkontrollen der Bundespolizei zu übertragen. „Die Luftsicherheit muss in eine Hand kommen“, sagte Bosbach. Nötig sei dann eine entsprechende personelle Verstärkung der Bundespolizei. Die Regierung habe deren Wochenarbeitszeit von 40 auf 41 Stunden erhöht, was einem Abbau von gut 700 Stellen entspräche. Bosbach unterstich aber, dass bis 2014 damit „keine Kontrollkapazitäten abgebaut werden.“

——————————————————————————–

Nicht zum ersten Mal sind Politiker der Bundesrepublik Ziel eines Anschlags mit einer Brief- oder Paketbombe. Die Attentate gingen – wie jetzt beim Fund eines explosiven Pakets im Kanzleramt – glimpflich aus.

Adressat war unter anderem der frühere Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU) im September 1961. Zwei in München aufgegebene Sprengstoffpäckchen können rechtzeitig entschärft werden.

1972 trifft es den damaligen Münchner Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel (SPD). Wegen eines fehlerhaften Zündmechanismus explodiert die Bombe jedoch nicht.

Eine an den damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl adressierte Briefbombe entpuppt sich 1995 als schlechter Scherz. Das explosive Gemisch detoniert in einem Postverteilamt nahe Berlin. Verletzt wird niemand. In einem anonymen Bekennerschreiben sprechen die Absender von einem „Spaß, über dessen Folgen wir uns nicht bewusst waren“.

2004 trifft es den damaligen Fraktionschef der Europäischen Volkspartei (EVP), Hans-Gert Pöttering. In seinem Brüsseler Büro explodiert ein Sprengsatz, Pöttering bleibt unverletzt. Hinter der Anschlagsserie auf mehrere EU-Politiker stecken vermutlich italienische Anarchisten.

Im selben Jahr versetzt eine ganze Serie von Anschlägen Bayern in Aufregung. Adressaten von insgesamt neun Anschlägen sind unter anderem mehrere Landräte. Die Sekretärin eines von ihnen wird beim Öffnen der Sendung leicht verletzt. Der 22-jährige Bombenbastler sprengt sich selbst in die Luft.

Den Passagierverkehr überwachen derzeit rund 700 Bundespolizisten und 6300 private Sicherheitsleute. Die Fracht im Transitverkehr wird hingegen lediglich bei konkreten Hinweisen auf Terrorgefahr kontrolliert. Dabei ist Deutschland besonders gefährdet, weil es mit den Flughäfen Frankfurt am Main, Köln/Bonn, Leipzig und München ein Hauptumschlagplatz für den weltweiten Warenverkehr ist – beispielsweise zwischen dem Nahen Osten und Nordamerika. So war eine der beiden Bomben aus dem Jemen vom US-Paketdienst UPS in Köln/Bonn drei Stunden zwischengelagert worden, ohne dass das Paket dort untersucht wurde.

Anzeige

Bisher ist es nicht ausgeschlossen, dass eine Bombe unter einem Passagiersitz im Frachtraum befördert wird. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) verlangt von Innenminister Thomas de Maizière (CDU) deshalb, dass er Passagiere sofort schützt. „Zugeladene Fracht aus dem Transitverkehr muss kontrolliert werden“, sagte GdP-Chef Konrad Freiberg WELT ONLINE. Auch er kritisiert die geplanten Einsparungen bei der Bundespolizei. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann rief die Regierung auf, die Sicherheitslücke schnell zu schließen.

Video

„Wenn Passagiere intensiv durchsucht werden, ist es schwer zu verstehen, dass gleichzeitig Paketbomben ungeprüft in den Frachtraum geschleust werden können. Das gilt umso mehr, als 60 Prozent des Frachtguts in Passagiermaschinen mittransportiert wird“, sagte Oppermann. Justizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger (FDP) unterstützte im ZDF die Gewerkschaften, die zu Recht beklagen würden, dass bei der Polizei in den vergangenen Jahren fast 10.000 Stellen“ in Bund und Länder gestrichen worden seien. Sie kritisierte, dass sich die Politik nach den Terroranschlägen 2001 „zu einseitig auf Personenkontrollen und auf Eingriffe in Bürgerrechte konzentriert hat.“

Innenminister de Maizière will am kommenden Montag bei einem Treffen mit seinen europäischen Amtskollegen erreichen, dass auf EU-Ebene eine „Arbeitsgruppe“ zur Luftsicherheit eingerichtet wird. Die Fracht, die von Deutschland aus startet, kontrollieren bisher die Luftfahrtgesellschaften, die wiederum unter der Aufsicht des Luftfahrtbundesamtes stehen. Das Volumen des deutschen Luftfrachtverkehrs betrug im vorigen Jahr 3,24 Millionen Tonnen. Über das gesamte Jahr 2009 betrachtet, betrugen die Einladungen 1,70 Millionen Tonnen und die Ausladungen 1,64 Millionen Tonnen. Der Verkehr mit dem Ausland machte etwa 95 Prozent der Fracht aus.

Im Archiv stöbern