dapd, 25.11.2010
Recherche im Netz wird bei Ermittlungsarbeit immer wichtiger
Berlin (dapd). Die Internet-Suche nach dem mutmaßlichen Doppelmörder von Bodenfelde war für die Polizei ein Leichtes: Ein Mädchen hatte sie darüber informiert, dass ein Verdächtiger sie auf einem Parkplatz angesprochen und ihr auf Aufforderung seine Handynummer gegeben habe. Danach ging es ganz schnell: Mit dem Namen des 26-jährigen Jan O. fanden die Ermittler einen Internet-Eintrag von ihm. Diese Einstellung stehe ganz klar mit ihm und seinen Taten in Verbindung, sagte der Göttinger Oberstaatsanwalt Hans Hugo Heimgärtner am Mittwoch kurz nach der Pressekonferenz in einem Gespräch mit N24. Dies habe eigentlich schon gereicht, ihn festzunehmen, fügte er hinzu.
Zu den Mordopfern, der 14-jährigen Nina und dem 13-jährigen Tobias aus Bodenfelde, hatte der Arbeitslose aus Uslar nach Polizeiangaben zuvor offenbar keine Verbindung gehabt. Im Internet hat er jedoch nach dapd-Informationen versucht, Kontakte mit jungen Mädchen zu knüpfen. In Einträgen auf seiner Seite fragt er, ob Mädchen zwischen 10 und 16 Jahren Interesse haben, „zu chatten und vielleicht mehr“. Außerdem fragte er bereits am 15. Juni 2009: „welches girly will mehr als nur quatschen“. Ob auf diesem Weg Beziehungen zustande kamen und ob er vielleicht sogar mehr Mordopfer auf dem Gewissen hat, ist noch nicht geklärt.
Bei der Aufklärung von Verbrechen müssen Polizei und Staatsanwaltschaft immer häufiger im Internet ermitteln. „Internet-Recherche spielt eine riesige Rolle“, sagte Rainer Wendt, der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft im Beamtenbund, am Mittwoch im dapd-Interview. Die personelle Ausstattung sei aber vor allem bei den Staatsanwaltschaften schlecht. Beschlagnahmte Festplatten von PC mussten nach Angaben Wendts „abartigerweise“ wieder an Tatverdächtige zurückgegeben werden, weil man die Auswertung nicht in der zweijährigen Frist geschafft habe.
Die Polizeigewerkschaften fordern eindringlich eine Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung, die durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts gestoppt wurde. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger müsse ihren Widerstand aufgeben, forderte Wendt. „Bei der Kinderpornografie gibt es mittlerweile erhebliche Einbußen“, sagte Wendt. „Schätzungsweise 80 Prozent der Delikte können wir nicht mehr bearbeiten, weil wir nicht an die Daten kommen.“
Ähnlich äußerte sich die Gewerkschaft der Polizei (GdP). Der Leiter der Rechtsabteilung, Sascha Braun, sagte im dapd-Interview, viele Fälle von Kinderpornografie könnten nicht aufgeklärt werden, weil die Identifizierung der Rechner über die IP-Adresse den Ermittlern nicht möglich sei. „Es geht um die schlichte Frage: Gehört der Internet-Anschluss xy zum Beispiel einem Fritz Müller?“
Die Polizei könne aber nicht die „zigtausendfache Kommunikation“ im Internet mit verfolgen, betonte Braun. „Wenn ein Täter bisher nicht aufgefallen ist, hat die Polizei es schwer.“ Täter zum Beispiel mit Vorstrafen wegen Delikten an Kindern werden indessen nach Angaben des GdP-Rechtsexperten gut überwacht. Dafür stünden viele spezialisierte Fachdienststellen bereit. Die Landeskriminalämter seien in dieser Hinsicht „sehr gut aufgestellt“. Zu Präventionsmaßnahmen gehöre die „Gefährderansprache“. Ein Straftäter werde zum Beispiel nach einem Umzug von Beamten aufgesucht, die ihm klarmachten, dass die Polizei ihn im Auge behalte.
Die umstrittene Fernsehsendung „Tatort Internet“ von RTL2 stößt bei der Polizei durchaus auf Wohlwollen. In den Beiträgen wurde versucht, Pädophile im Netz mit Hilfe von Lockvögeln und versteckter Kamera zu entlarven. „Die Form ist Geschmackssache“, sagte Wendt. „Aber das hat auch präventive Funktion. Wir dürfen da nicht zimperlich sein.“