Polizei fühlt sich von Richtern im Stich gelassen

Es gehört angesichts steigender Gewalt fast schon zum Ritual bei Demonstrationen von Rechts- und Linksextremen: das Durchsuchen der Teilnehmer vor dem Start durch die Polizei. Das Karlsruher Bundesverfassungsgericht hat dem nun einen Riegel vorgeschoben. Die Polizei ist entsetzt und fürchtet, dass es dadurch zu mehr Gewalt bei solchen Aufzügen kommen kann.

Ohne eindeutigen Verdacht dürfen die Polizisten nach der Entscheidung der höchsten deutschen Richter Demonstranten nicht mehr so ohne weiteres durchsuchen. Das Verfassungsgericht müsse «endlich verstehen, dass es auch eine Verantwortung im Bereich der inneren Sicherheit besitzt», sagt der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt. Das Gericht lasse die Polizei mit dem Problem immer gewalttätigerer Protestler allein.

Dabei hat gerade erst der 1. Mai in Berlin gezeigt, dass umfangreiche Kontrollen ein Ausarten von Gewalt verhindern können. Im Gegensatz zum Vorjahr, wo es knapp 500 verletzte Polizisten gab, setzte die Polizei auf flächendeckende Vorkontrollen – es gab zwar Krawalle, aber insgesamt liefen die Proteste glimpflicher ab.

Eng nebeneinanderstehen die Polizisten am Abend des 1. Mai in Kreuzberg und blockieren die Zugangsstraßen. Jeder Teilnehmer, ob harmloser Student in kurzen Hosen oder Linksautonomer mit uniformähnlichen schwarzem Kapuzenpulli und Sonnenbrille, muss durch eine Art Schleuse, wo er durchsucht wird. Polizisten wühlen in Rucksäcken und Umhängetaschen, tasten Jacken und Hosenbeine ab. Verboten sind Glasflaschen, Getränkedosen, Feuerwerksraketen oder Böller – Gegenstände, mit denen gerne Polizisten angegriffen werden.

Bei einer großen Neonazi-Demonstration ebenfalls am 1. Mai in Berlin leitete die Polizei die spärlich eintrudelnden Teilnehmer durch eigens aufgebaute Zelte, wo sie ausführlich durchsucht wurden. Die Auflagen werden vor der Demonstration von der Versammlungsbehörde festgesetzt. Wenn die Polizei erwartet, dass es auch nur am Rand zu Krawall kommen kann, wird durchsucht. Das gilt praktisch für fast alle Demonstrationen oder Kundgebungen, bei denen einige Linksautonome oder Neonazis auftauchen.

Um die Lage zu kontrollieren, hält die Berliner Polizei auch schon mal ein paar tausend Plastikbecher und Glascontainer bereit. Jugendliche Demonstranten müssen ihre Bierflaschen in den Containern entsorgen, dürfen vorher aber das Bier umfüllen und mitnehmen. Seitdem die Polizei diese Strategie in Berlin rund um den 1. Mai konsequent durchsetzt, bleibt es auch nachts mangels Wurfgeschossen weitgehend friedlich.

Auch intensive Vorkontrollen garantieren aber keinen friedlichen Ablauf. Viele Demonstrationen führen in Berlin an gut gefüllten Getränkeläden und Kiosken vorbei, wo sich schnell lange Schlangen bilden. Erfahrene Krawallmacher deponieren Steine oder Böller Tage vorher bei Freunden oder in Verstecken an der Demoroute. Diese Taktik kennt natürlich auch die Polizei und sondiert ebenfalls die Strecke.

Für Konrad Freiberg, den Chef der Gewerkschaft der Polizei, ist mit dem Urteil eine Grenze erreicht: Erstens nehme die politisch motivierte Gewalt von Extremen drastisch zu. Zweitens würden Polizisten immer mehr zur Zielscheibe. Und nun gefährde drittens das Urteil das Ziel, Gewaltexzesse im Keim zu ersticken. «Die Polizei kommt in eine ungeheuer schwierige Lage», prophezeit Freiberg.

Nürnberger Zeitung

Im Archiv stöbern