Großeinsatz am 1. Mai
Polizei im Drei-Fronten-Kampf
Von Jörg Diehl
Autonome, Nazis, Straßenschläger – die Sicherheitskräfte werden sich am 1. Mai nicht nur in Berlin zwischen allen Fronten wiederfinden. Besondere Sorge macht den Behörden eine Gruppe, die sie umständlich als „erlebnisorientierte Jugendliche“ bezeichnen.
Hamburg – Der junge Mann mit den blonden, kurz geschnittenen Haaren und der schwarzen Brille scheint ein sehr eigenes Verständnis von Recht und Ordnung zu haben. Da muss seine Berufswahl im Nachhinein doch verwundern: Reik F., 24, war Bundespolizist am Frankfurter Flughafen, bis er in seiner Freizeit am 1. Mai 2009 in Berlin drei Pflastersteine auf seine Kollegen schleuderte – offenbar aus Vergnügen und weil sich die Gelegenheit bot für ein bisschen Action.
F. gehört damit trotz seines fortgeschrittenen Alters und seines Berufs zu der Gruppe der sogenannten erlebnisorientierten Jugendlichen, die den Sicherheitsbehörden in der Vorbereitung auf den 1. Mai derzeit viel Kopfzerbrechen machen. Während sich inzwischen abzeichnet, dass in Berlin etwa 3000 Rechtsextreme und bis zu 10.000 Gegendemonstranten auf die Straße gehen könnten, ist die Stärke der „Krawallkids“ bislang kaum zu prognostizieren.
Ein hochrangiger Beamter aus dem Innenministerium schätzt jedoch, dass die „unpolitischen Chaoten“, die häufig aus Problemstadtteilen kämen und für die Gewalt fast schon alltäglich sei, bei bestimmten Großdemonstrationen inzwischen bis zu 50 Prozent der Steinewerfer und Schläger ausmachten.
„Eventcharakter der Veranstaltung“
Zudem sei in den vergangenen Jahren der Anteil der Migranten bei solchen Veranstaltungen deutlich gestiegen. „Auch die linke Szene betrachtet diese Entwicklung mit Sorge“, so der Beamte gegenüber SPIEGEL ONLINE. Sie fürchte, von der Öffentlichkeit für die blinde Zerstörungswut der Jugendlichen verantwortlich gemacht zu werden.
Der Berliner Kriminologe Klaus Hoffmann-Holland, der die Ausschreitungen am 1. Mai 2009 untersucht hat, kommt ebenfalls zu dem Ergebnis, dass nur ein Teil der Randalierer aus politischen Motiven handelte. Bei den übrigen stand der „Eventcharakter der Veranstaltung im Vordergrund“.
Dreiviertel der damals von der Polizei Festgenommenen waren der Studie zufolge jünger als 26 Jahre, fast alle waren Männer. Die meisten kamen aus den Berliner Stadtteilen Prenzlauer Berg, Mitte, Neukölln, Tempelhof und Friedrichshain-Kreuzberg. Fast die Hälfte war schon einmal mit anderen Straftaten aufgefallen und außerdem an dem Abend betrunken.
Und jetzt kommen sie wieder.
„Mit der Polizei anlegen“
Berlins Innensenator Erhardt Körting jedenfalls, der an diesem Wochenende erneut fast 6000 Beamte aus mehreren Bundesländern in der Hauptstadt zusammenziehen wird, rechnet mit heftigen Ausschreitungen. „Insbesondere junge Leute werden alles tun, um sich mit der Polizei anzulegen“, sagte der SPD-Politiker.
Im Unterschied zum Vorjahr, als nach offizieller Zählweise 479 Ordnungshüter verletzt wurden und es hinterher heftige Kritik an dem Einsatzkonzept gab, werden die Hundertschaften diesmal wohl entschlossener durchgreifen: Schon ist wieder von „Null Toleranz“ die Rede und davon, Wasserwerfer nicht nur bereit zu halten, sondern auch einsetzen zu wollen.
Sicherheitsexperten anderer Bundesländer gehen ebenfalls davon aus, dass die „Musik vor allem in Berlin spielen wird“, wie ein Beamter SPIEGEL ONLINE sagte. Zwar hätten Neonazis auch in anderen Städten Kundgebungen angemeldet, bei denen es ebenfalls zu Zusammenstößen mit Polizei und Gegendemonstranten kommen könne, doch würden sich die hartgesottenen Links- und Rechtsextremisten wohl auf den Weg in die Hauptstadt machen. Allein aus Hamburg sollen nach Erkenntnissen der Behörden zwischen 200 und 300 Autonome anreisen – hinzu kommen die lokalen Krawallkids in unbestimmter Zahl.
„Keine Hemmungen mehr“
„Wir kennen die Gewaltbereitschaft. Es gibt keine Hemmungen mehr, die Tötungen von Polizisten in Kauf zu nehmen. Es fehlt nur noch der Schusswaffengebrauch“, sagte der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, SPIEGEL ONLINE. Der Duisburger Polizeihauptkommissar erkennt „eine zunehmende Radikalisierung, die sich gegenüber den staatlichen Repräsentanten entlädt. Man bekämpft das System, aber die einzigen, die erkennbar sind, sind die Polizisten in ihren Uniformen. Und die trifft dann die ganze Gewalt.“
Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) hatte schon vor knapp zwei Wochen in dramatischer Weise vor einer Eskalation der Demonstrationen am 1. Mai gewarnt. Die erwartete Links-Rechts-Auseinandersetzung werde „gewalttätiger als in den letzten Jahren“, prophezeite der GdP-Vorsitzende Konrad Freiberg.
„Wir haben ganz große Sorgen, dass es in diesem Jahr rund um den 1. Mai zu Hunderten von Verletzten kommen kann und hoffentlich am Ende nicht sogar zu dem einen oder anderen Toten“, so Freiberg. Der Berliner Grüne Benedikt Lux widersprach Freiberg daraufhin vehement und warf ihm „Panikmache“ vor.
Auf die harte Tour
Für problematisch halten Polizeigewerkschafter in dem Zusammenhang die jüngere Rechtsprechung des Berliner Kammergerichts: Demnach darf das Werfen von Flaschen oder Steinen auf Polizisten nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen – etwa einer individuell nachgewiesenen Verletzungs- oder Tötungsabsicht – noch als schwerer Landfriedensbruch (§125a StGB) angesehen werden. Flaschen und Steine seien keine Waffen im eigentlichen Sinne, so die Richter, weshalb es sich hier zumeist also bloß um einfachen Landfriedensbruch handeln könne. Und der wird üblicherweise mit Geldstrafen geahndet.
Was die „internationalen Polizeifestspiele“ am 1. Mai in Berlin, wie ein Beamter den Einsatz sarkastisch nennt, die klamme Hauptstadt jedes Jahr kosten, mag man der Öffentlichkeit dort wohl nicht so gerne eröffnen. Eine entsprechende Anfrage von SPIEGEL ONLINE blieb bislang unbeantwortet. Klar ist: Es dürften einige Millionen sein. Allein die nordrhein-westfälischen Einsatzhundertschaften, die im vergangenen Jahr anrücken mussten, schlugen laut Düsseldorfer Innenministerium mit 238.000 Euro zu Buche: Länderfinanzausgleich auf die harte Tour.