Leipziger Internet-Zeitung:
Ralf Julke
24.07.2010
Wenn eine Regierung versucht, ihre Arbeitsabläufe zu verbessern, bekommt das Projekt einen Namen wie „Verbesserung der Effizienz und Qualität der polizeilichen Aufgabenwahrnehmung“. Im Dezember 2009 hat das Sächsische Staatsministerium des Innern diesen neuen Rundschliff für Sachsens Polizei gestartet.
Im Sprachgebrauch heißt es kurz „Polizei Sachsen 2020“. „Ziel des Projektes ist es, vor dem Hintergrund zurückgehender Personalressourcen die sächsische Polizei einer umfassenden Aufgaben- und Organisationskritik zu unterziehen“, erklärt das Innenministerium den Sinn der Sache. „Im Ergebnis soll sich die Polizei stärker auf ihre Kernaufgaben konzentrieren, polizeifremde Aufgaben abbauen und zudem die bestehende Polizeiorganisation weiter straffen.“
Das klingt nicht gut. Das klingt ganz so, als täten Polizeibeamte in Sachsen Dinge, die nicht zu ihrem Aufgabengebiet gehören. Es klingt auch so, als hätte Sachsens Polizei in den letzten Jahren nicht schon mehrere Aufgaben abgegeben. An private Auftragnehmer. So geht es aus der Beantwortung einer Großen Anfrage hervor, die die Linksfraktion im Sächsischen Landtag initiiert hatte.
Am 8. Juli bekam Rico Gebhardt, innenpolitischer Sprecher der Fraktion, die Antworten. Vielleicht hat er sogar etwas missverstanden, wenn er sich jetzt bestätigt fühlt: „Offenbar hat die Staatsregierung bei der Beantwortung unserer Großen Anfrage ‚Die sächsische Landespolizei – im Jahre 2010 auf der Höhe ihrer Aufgaben?‘ feststellen müssen, dass sie selbst beim Thema öffentliche Sicherheit immer noch nicht auf der Höhe der Zeit ist. Schon vor vier Jahren hatten wir angemahnt, dass man nicht schadlos einen Personalabbau bei der Polizei einleiten kann, ohne überhaupt ein Konzept für die Polizei zu haben. Genau das hat Sachsens Staatsregierung getan – und entsprechend groß ist inzwischen die Verunsicherung bei Bürgerinnen und Bürgern sowie bei der Polizei selbst.“
Nur: Das Projekt „Polizei Sachsen 2020“ hat augenscheinlich nicht den Sinn, den Personalabbau in der sächsischen Polizei zu stoppen. Innenminister Markus Ulbig: „In den nächsten Monaten werden die Eckwerte der künftigen Sicherheitsarchitektur im Freistaat Sachsen Konturen erhalten. Neben den Erfahrungen der Führungskräfte und Mitarbeiter der sächsischen Polizei möchte ich dabei auch externes Know-how in die Projektarbeit einfließen lassen.“
Das „externe Know-how“ kommt bei der Umstrukturierung der sächsischen Polizei nicht zum ersten Mal zum Einsatz. „Micus mobilisiert“, heißt es auf der Website der Micus Management Consulting GmbH, die die Neuorganisation der sächsischen Polizei als externer Berater in den letzten Jahren begleitet hat. Es ist ja nicht so, dass die Polizei in Sachsen einfach seit Jahren still vor sich hin arbeitet. Die Landesregierung war schon bestrebt, den stetigen Rückgang an verfügbaren Polizisten durch „Effizienzsteigerung“ zu kompensieren. Wie in einem Unternehmen, das sich dem Wettbewerb stellen muss.
Ergebnisse dieser Neuorganisation waren unter anderem die Bündelung der drei Polizeipräsidien und 16 Polizeidirektionen zu nunmehr sieben Polizeidirektionen, die Konzentration von Technik- und Verwaltungsaufgaben in der Landespolizeidirektion, die Bündelung von Kriminaldiensten, die Vereinfachung von Bearbeitungsverfahren (bei Ladendiebstahl etwa oder „Beförderungserschleichung“). Und „polizeifremde bzw. vollzugsinadäquate Aufgaben“ wurden abgebaut bzw. fremd vergeben, also: privatisiert. Dazu gehören Polizeikantinen, Polizeitankstellen, die Reinigung von Polizeirevieren, die Polizei-Kfz-Werkstätten und selbst die „Außensicherung von Dienstgebäuden“.
So bekommt es Rico Gebhardt in der Antwort vom 8. Juli erklärt. Dabei war auch zu erfahren, dass die letzte Evaluation dieser Neuorganisation 2006 stattfand. Da Rico Gebhardt immer nur nach Mannschaftsstärken, Zu- und Abgängen gefragt hat, fehlen natürlich Angaben dazu: Wie haben sich durch diese Teil-Privatisierung im Polizeibereich die Kosten entwickelt?
Das muss die allererste Frage sein, wenn jemand eine staatliche Organisation „effizienter“ macht. Die Aufgaben verschwinden ja nicht einfach. Wird das Ganze preiswerter, wenn private Anbieter das Essen kochen, die Flure reinigen und die Autos reparieren?
Und wie sieht es mit dem Auftraggeber aus: Wie hat sich der Umbau auf die Polizeiarbeit im Land ausgewirkt? Haben sich Anfahrtszeiten verlängert? Hat sich die Sicherheitslage verschlechtert? – Alles Dinge, die seit Jahren in der Kritik stehen und die nicht in der Polizeistatistik auftauchen, denn da landet nur, was Polizisten auch protokollieren.
Und was Markus Ulbig da an externen Beratern zusammengeholt hat, klingt nicht wirklich so, als solle die nächste Runde der „Neuorganisation“ anders ablaufen. Im neuen Lenkungsausschuss sitzen – neben Axel Dechamps (ehemaliger Abteilungsleiter Polizei im Innensenat von Berlin) und Carl Heinrich von Bauer (ehemaliger Landespolizeipräsident von Nordrhein-Westfalen) auch wieder Berater aus polizeifremden Bereichen: Heino von Schuckmann, Leiter des Geschäftsbereichs „Public Sector Consulting“ des Beratungsunternehmens Deloitte & Touche GmbH, sowie Rudolf Knorr, Geschäftsführer „Steuerung, Controlling und Umsetzung“ des Bereiches SGB II und zugleich Generalbevollmächtigter im Vorstandsbereich Grundsicherung der Bundesagentur für Arbeit.
„Vom ‘Blick über den Tellerrand’ verspreche ich mir wesentliche Impulse für unser sächsisches Polizeiprojekt“, sagt Ulbig. Doch die versammelten Herren unter Leitung von Landespolizeipräsident Bernd Merbitz sehen nicht gerade nach dem „Blick über den Tellerrand“ aus. Auch nicht der oberste Controller des Bereiches SGB II in der Bundesarbeitsagentur, die seit fünf Jahren alle möglichen Botschaften liefert, nur nicht die für eine effiziente und kundenfreundliche Umsetzung der SGB-II-Gesetzgebung. Die Klagen häufen sich nach wie vor bei den sächsischen Sozialgerichten.
Was völlig fehlt, ist tatsächlich die unabhängige Betrachtung: Wie effektiv und erfolgreich arbeitet Sachsens Polizei? Und welche Folgen hat der seit Jahren erfolgte Personalabbau auf die Polizistinnen und Polizisten?
Eine Frage, die Rico Gebhardt leider auch nicht gestellt hat, auch wenn er versucht herauszubekommen, wie viele Polizisten wegen Dienstunfähigkeit jährlich den Dienst quittieren: 60 ungefähr, ist die Antwort. Aktuell laufen 53 Verfahren.
Ansonsten schmilzt die Personaldecke wie das Eis in der Frühlingssonne. Zwar bewerben sich jedes Jahr zwischen 2.500 und 4.500 junge Leute für den Polizeidienst in Sachsen, 2010 sind es allein für den mittleren Dienst 3.608 und für den höheren Dienst 1.101. Aber übernommen in den Polizeidienst wurden in den letzten Jahren immer nur zwischen 25 und 74. Das heißt: Die Neuübernahmen gleichen nicht einmal die durch Dienstunfähigkeit verursachte Fluktuation aus.
Dazu kommen aber noch die Polizistinnen und Polizisten, die rein aus Altersgründen in den Ruhestand gehen. Eine Zahl, die seit Jahren steigt, denn bei der sächsischen Polizei ist es genauso wie im sächsischen Schulwesen: Die jahrelange Einstellungsflaute hat zu einer kräftigen Überalterung der Polizei geführt. Von 2000 bis 2010 erhöhte sich das Durchschnittsalter sächsischer Polizeibeamter von 38,9 auf 43,2 Jahre. Zum Vergleich Leipzig: Das Durchschnittsalter der Leipziger Bevölkerung erhöhte sich im selben Zeitraum von 43,1 auf 44,0 Jahre.
Was eben auch bedeutet: Die Abgänge aus dem sächsischen Polizeidienst werden sich drastisch erhöhen. 2005 waren es noch 162 Polizisten, die in den Ruhestand gingen, 2008 waren es schon 247, 2009 dann 307. In diesem Jahr rechnet der Innenminister mit 287 Ruheständlern, ab 2011 steigt die Zahl dauerhaft über 300, 2019 werden dann schon 429 Abgänge in einem Jahr erwartet.
Und das alles kann durch die magere Einstellung von Nachwuchs nicht aufgefangen werden. „Nun ergreift man nach dem Motto ‚Und wenn ich nicht mehr weiter weiß, dann gründ’ ich einen Arbeitskreis‘ die Flucht nach vorn“, spottet Gebhardt. „Besonnene und zielstrebige Politik im Interesse öffentlicher Sicherheit sieht anders aus.“