Taz.de
Polizeiaktion auf Dresdner Anti-Nazi-Demo
138.000 Handydatensätze ausgespitzelt
Reiche Beute: Bei der Handy-Überwachung der Anti-Nazi-Proteste in Dresden landeten 138.000 Datensätze auf dem Polizeirechner. Sachsen CDU-Innenminister verteidigt das.

VON PAUL WRUSCH
Immer wieder marschieren in Dresden Nazis auf – die Polizei interessiert sich mehr für die Gegendemonstranten.
DRESDEN taz | Nachdem die taz über die großräumige Handyüberwachung bei den Anti-Nazi-Protesten in Dresden berichtet hatte, hat jetzt die zuständige Polizeibehörde in Dresden Stellung bezogen. Dabei wurden Details zum Ausmaß der so genannten Funkzellenauswertung bekannt.
So wurden den Ermittlern von den Mobilfunkprovidern vom 19. Februar diesen Jahres, wie es in der Erklärung heißt, „etwa 138.000 Datensätze mit Verbindungsdaten“ übermittelt. Diese wurden „von insgesamt 14 Tatorten jeweils in engen, spezifischen Zeitfenstern erhoben“, heißt es. Wie groß diese Zeiträume sind, bleibt unbekannt. Wie groß genau das Gebiet ist, in dem die benannten 14 Tatorte sein sollen, ebenfalls.
Grund für die Abfrage der Verbindungsdaten bei den Providern, die von der Polizeibehörde drei Tage nach den Protesten bei der Staatsanwaltschaft Dresden beantragt und vom zuständigen Ermittlungsrichter vom Dresdner Amtsgericht angeordnet wurde, seien mehrere schwere Landfriedensbrüche gewesen. „Aus Gruppen heraus hatten Unbekannt an mehreren Orten Einsatzkräfte und polizeiliche Einrichtungen angegriffen und beschädigt“, so die Polizeidirektion Dresden.
„Unser Ziel ist die Aufklärung der schweren Straftaten. Dafür müssen wir wissen, wer sich zum Tatzeitpunkt innerhalb der Funkzelle aufgehalten hat“, teilte Dresdens Polizeipräsident Dieter Hanitsch mit. Die Daten wurden in mehreren Fällen allerdings auch zweckentfremdet und flossen in Ermittlungen wegen des Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz ein. „Aufgrund der Festlegung der Staatsanwaltschaft ist eine Verwertung in Bezug auf Blockadeaktionen ausgeschlossen“, stellt die Polizeibehörde dazu zerknirscht fest.
Widersprüchliche Angaben machen die Behörden zur Frage, ob die rund 138.000 Datensätze noch immer gespeichert sind. So heißt es in der offiziellen Pressemitteilung von Polizei und Staatsanwaltschaft: „Verbindungsdaten von Personen, die nicht Gegenstand des Verfahrens sind, werden unverzüglich gelöscht“. Ein Polizei-Sprecher dagegen bestätigte der taz schriftlich, dass die Rohdaten noch gespeicher sind. Sie „werden auf Speichermedien der sächsischen Polizei gespeichert“, erklärte er.
Unterdessen hat sich am Montagnachmittag aus Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) zu dem Vorfall geäußert. „Ich habe heute von dem Sachverhalt erfahren. Selbstverständlich dürfen die Daten nur für die Aufklärung von erheblichen Straftaten verwendet werden“, erklärte er. Zugleich erinnerte er daran, dass am 19. Februar vermummte und gewaltbereite Rechts- und Linksextremisten eine Vielzahl von Straftaten begangen haben. „Polizei und Staatsanwaltschaft brauchen diesen Daten, um die Straftaten aufklären zu können“, so Ulbig.

Handy-Überwachung hat Nachspiel

Demo-Überwachung per Mobilfunk
Mal eben ausgespäht
Die Oppositionsparteien in Sachsen forderten am Montag Aufklärung von der Landesregierung. Die SPD-Fraktion hat eine umfangreiche parlamentarische Anfrage gestellt, die Grünen eine Sondersitzung des Innenausschusses beantragt. Kommende Woche befasst sich zudem der Landtag mit dem Thema.
MDR.de
Proteste gegen Nazis in Dresden
Heftige Kritik an Ausspähung von Handyverbindungen
Der sächsische Datenschutzbeauftragte hat Aufklärung über die angeblich von Staantsanwaltschaft und Polizei betriebene Auswertung von Handyverbindungen in Dresden gefordert. Dazu soll es Medienberichten zufolge während der Anti-Nazi-Proteste im Februar gekommen sein. Der Sprecher des Datenschutzbeauftragten, Andreas Schneider, sagte MDR 1 RADIO SACHSEN, die entsprechenden Anfragen seien bereits gestellt worden. Die Dresdner Staatsanwaltschaft habe nun bis Donnerstag Zeit, sich zur Sache zu äußern. „Es wird zu klären sein, ob sich das Handeln der Staatsanwaltschaft und der Polizei im zulässigen Bereich, also auf Grundlage der gerichtlichen Anordnung, bewegt hat“, sagte Schneider.
Laut einem Pressebericht hat die Polizei am 19. Februar in Dresden Tausende Handys ausgespäht
Grüne beantragen Sondersitzung von Ausschüssen
Die Landtagsfraktionen Linke, SPD und Grüne kritisierten die Handyausspähung scharf. Die Grünen bezeichneten die Aktion am Montag als Kriminalisierung friedlicher Demonstranten. Die Fraktion beantragte eine gemeinsame Sondersitzung des Innen- und des Rechtsausschusses des Landtages für Freitag. Dabei müsse geklärt werden, wie viele Personen betroffen sind. Der Rechtsexperte der Fraktion, Johannes Lichdi, vertrat die Ansicht, dass das Handeln von Staatsanwaltschaft und Polizei rechtswidrig war. „Die Funkzellenabfrage ist nur für schwere Straftaten mit einer Mindesthöchststrafe von fünf Jahren zulässig“, erklärte Lichdi.

Die Linke will die Überwachung zudem in der kommenden Woche während einer aktuellen Debatte im Landtag diskutieren. Fraktionschef André Hahn sagte, Innenminister Markus Ulbig (CDU) und Justizminister Jürgen Martens (FDP) müssten dann Stellung nehmen. „Es ist einfach unglaublich, dass durch dieses Vorgehen Tausende Teilnehmer an Protestaktionen gegen Nazis namentlich erfasst, von ihnen wie von völlig Unbeteiligten Bewegungsprofile angefertigt und selbst ihre privatesten SMS untersucht werden“, erklärte Hahn. Nach SPD-Angaben hatten bislang weder der Innen- noch der Justizminister in den Landtagsausschüssen über diesen Polizeieinsatz am 19. Februar informiert. Die großräumige Handyüberwachung auch unbescholtener Bürger sei „äußerst besorgniserregend“, erklärten die Sozialdemokraten.
Ulbig verteidigt Überwachung
Innenminister Ulbig erklärte, er habe erst am Montag von dem Sachverhalt erfahren. Aus seiner Sicht dürften die Daten selbstverständlich nur für die Aufklärung von erheblichen Straftaten verwendet werden. Der Landespolizeipräsident habe sich hierzu bereits mit dem Datenschutzbeauftragten verständigt. Ulbig erinnerte daran, dass am 19. Februar gewaltbereite, vermummte Rechts- und Linksextremisten eine Vielzahl von Straftaten begangen hatten. „Polizei und Staatsanwaltschaft brauchen diese Daten, um die Straftaten aufklären zu können“, sagte der Innenminister. Diese Ansicht ist aber offenbar auch in der CDU/FDP-Koalition umstritten. Der FDP-Abgeordnete Carsten Biesok sagte, es seien „viel zu viele“ Anwohner und friedliche Demonstranten mit überwacht und unter Generalverdacht gestellt worden.
Ermittlungen wegen schweren Landfriedensbruchs
Laut einem Bericht der „Tageszeitung“ hatte die Polizei die großflächige Funkzellenauswertung zur Aufklärung von schweren Landfriedensbruch eingesetzt. Dabei habe sie Handydaten von Tausenden Demonstranten und Anwohnern über Stunden ausgespäht. Am 19. Februar wollten in Dresden Rechtsextreme aufmarschieren, sie wurden aber von Tausenden Demonstranten daran gehindert. Während der Blockade kam es zu teilweise heftigen Zusammenstößen zwischen linken Demonstranten und der Polizei.

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