Berliner Morgenpost, 22.07.2010

Kriminalität

Donnerstag, 22. Juli 2010 02:21 – Von Peter Oldenburger und Maren Wittge

Nicht nur Polizisten, Mitarbeiter der Ordnungsämter und Feuerwehrleute sind in Berlin immer häufiger Angriffen ausgesetzt. Gestern Morgen hat sich die Angriffswut sogar gegen den ADAC-Rettungshubschrauber im Einsatz gerichtet, als ein noch unbekannter Täter den Helikopter während des Flugs beschossen hat.

Der Hubschrauber befand sich im Auftrag der Berliner Feuerwehr im Anflug auf die Charité Campus Benjamin-Franklin in Lichterfelde. Er wurde nur knapp verfehlt. Die Polizei fahndet noch nach dem Schützen, der offenbar eine Leuchtkugel abgefeuert hatte.

Nach Polizeiangaben befand sich der Rettungshubschrauber gegen 8.20 Uhr in 200 Metern Höhe über der Dessauerstraße, kurz vor der Langen Straße. Der 59 Jahre alte Pilot, der mit einem Notarzt und einem Rettungsassistenten in der Luft war, sah das Geschoss auf sich zukommen, ehe es in etwa 100 Meter Entfernung zündete. Glücklicherweise entstand kein Schaden; der Pilot konnte kurz darauf sicher landen. Nach ersten Erkenntnissen geht die Polizei davon aus, dass eine Leuchtkugel abgefeuert wurde, die üblicherweise bei Notfällen auf See zum Einsatz kommen. Die Polizei ermittelt jetzt wegen „gefährlichen Eingriffs in den Luftverkehr“.

Angriffe nehmen zu

Besonders die Häufigkeit der Angriffe auf Einsatzkräfte der Polizei alarmiert jedoch die Sicherheitsbehörden. Seit Freitag vergangener Woche haben sich mit dem jüngsten Vorfall Dienstagabend in Gesundbrunnen in Berlin insgesamt drei Vorfälle ereignet, bei denen Polizisten von einer Menschenmenge bedroht und sogar angegriffen wurden. In zwei Fällen wurden Polizisten sogar im als gutbürgerlich geltenden Steglitz bei Einsätzen massiv bedroht. Wie berichtet, waren vorigen Freitag zwei Zivilbeamte auf dem Herman-Ehlers-Platz in Not geraten, als sie wegen einer gefährlichen Körperverletzung einschreiten mussten. Sie hatten beobachtet, dass drei Männer auf einen am Boden liegenden Mann eintraten. Als sie den Haupttäter festnahmen, sahen sie sich kurz darauf einer Übermacht von 50 Personen gegenüber. Die Polizisten wurden beleidigt und beschimpft und schließlich mit Schlägen und Fußtritten traktiert. Der zunächst festgenommene Schläger konnte flüchten. Erst ein massiver Polizeieinsatz sorgte dafür, dass sich die Lage wieder beruhigte und drei Männer, die die Gefangenenbefreiung unterstützt hatten, in Gewahrsam genommen wurden. Aber auch Feuerwehrleute werden während Rettungseinsätzen, bei denen es oft sogar um Menschenleben geht, behindert und von Passanten massiv bedrängt.

Nur selten werden die Täter rechtlich zur Verantwortung gezogen; meist tauchen die Rädelsführer in der Menge unter. Eine der seltenen Ausnahmen: Am Montag wurde ein 19 Jahre alter Lehrling wegen Misshandlung eines Polizisten zu einem Jahr und zwei Monaten Haft mit Bewährung verurteilt. Er war mit einem Kumpan in einem Park in Friedrichshain unvermittelt auf einen Polizisten in Zivil losgegangen, hatte ihn getreten und im Schwitzkasten gewürgt, während sein Komplize die Taschen des Opfers plünderte. In Todesangst zog der Beamte seine Dienstwaffe, um einen Warnschuss abzugeben. Im Gerangel löste sich der Schuss vorschnell; das Projektil traf den 19-Jährigen ins Bein. „Die aus dem Nichts begangene Tat ist wohl nur durch den Alkoholkonsum zu erklären“, sagte der Jugendrichter in der Urteilsbegründung.

Der Zwischenfall in Gesundbrunnen wird noch untersucht. Der Schusswaffengebrauch ist für Polizeibeamte gerechtfertigt, wenn eine akute Notwehrsituation, wie bei einer Bedrohung mit einer Waffe, vorliegt. Bezeichnend mag erscheinen, dass Berlins Polizeipräsident Dieter Glietsch in dem Angriff mit einer abgeschlagenen Glasflasche in Wedding keine neue Qualität der Gewalt gegen Beamte sieht, wie sein Sprecher Frank Millert dieser Zeitung gestern auf Anfrage mitteilte. Vielmehr scheint sich ein Trend zu bestätigen, den Interessenvertreter der Polizei schon lange beklagen. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) sprach zu Jahresbeginn von mehr als 3300 Fällen von Widerstand gegen Mitarbeiter der Polizei. Berlins DPolG-Landesvorsitzender Bodo Pfalzgraf kommentierte dies mit den Worten „Polizisten werden als gesellschaftliche Sandsäcke missbraucht.“ Eine bundesweite Studie ergab jetzt, dass die Zahl verletzter Polizisten, die nach einem Angriff mindestens sieben Tage dienstunfähig waren, seit 2005 um 60 Prozent gestiegen ist. Jeder vierte Polizist wurde geschlagen oder getreten; jeder Siebente mit einer Waffe oder gefährlichen Gegenständen bedroht.

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