Deutschlandfunk, 11.08.2010

Kommentar von Gudula Geuther

Eigentlich war es gestern ein Begräbnis erster Klasse für die Idee, den Wohnort von gefährlichen Sexualverbrechern ins Internet zu stellen. Der Sprecher des Bundesjustizministeriums watschte den Gedanken mit wenigen wohlgesetzten Worten ab, sein Kollege aus dem Innenministerium stimmte ihm knapp zu.

Ende der Diskussion. Aber wie es mit reißerischen Vorschlägen so ist – das kann doch nicht alles gewesen sein. Und so bekam der Bundesinnenminister selbst Gelegenheit zur – noch schärferen – Ablehnung. Derjenige, der die immer wieder einmal kursierende Idee neuerlich hervorgezaubert hatte, der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft Rainer Wendt, legte nach. Und machte die Sache doch noch einmal etwas interessanter. Denn eigentlich, das wurde heute klar, geht es ihm darum, den politischen Druck zu erhöhen, damit die rund 80 Männer nicht freikommen, um die es geht. Und da zeigt sich noch einmal, wie gefährlich das politische Spiel ist, was da gerade gespielt wird. Das Spiel der Union, die so tut als sei das möglich. Das ist es auch – aber nur, wenn man den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und seine Entscheidung, die Grundlage für die Entlassungen ist, ignoriert. Und zum Gegenteil hat sich Deutschland nun einmal international verpflichtet.

Das, was der Union vorschwebt, das macht den Vorgaben der Richter ein Zugeständnis: Die Länder sollen die Bedingungen verbessern, unter denen die Menschen verwahrt werden. Insoweit sind sich auch alle einig. Aber die haftähnlichen Umstände der Unterbringung waren nur ein Grund unter mehreren, warum die Straßburger Richter sagten: Das ist Strafe und damit unterfällt es dem Rückwirkungsverbot. Daran kommt Deutschland schlicht nicht vorbei. Wenn einer der Vorbildstaaten der Europäischen Menschrechtskonvention anfängt, die Entscheidungen ihres Gerichts zu missachten – warum sollten sich dann die Türkei oder die Ukraine gebunden fühlen? Es scheint, als sprächen die Gegner der Entlassungen genau deshalb nicht aus, was wirklich hinter ihren etwas nebulösen, vermeintlich neuen Konzepten und Lösungen steht.

Dabei mag eine Motivation für die Verweigerungshaltung der Beifall der Stammtische sein. Aber das kann man bei Weitem nicht allen unterstellen, die sich gegen die Entlassungen sperren. Bei vielen wird es vielmehr der Wunsch nach absoluter Sicherheit sein. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf: Dass wir mit Gefahren leben müssen. Das ist nicht schön, und das zeigt sich grausam in jedem Einzelfall. Trotzdem ist die Gesellschaft einmal anders damit umgegangen. All die Gesetze, die jetzt so glühend verteidigt werden, sind erst wenige Jahre alt. Das Bedürfnis nach Sicherheit ist gestiegen. Wahrscheinlich auch so, dass man dem anders Rechnung tragen muss als noch vor zehn, zwanzig Jahren. Aber die Absolutheit, mit der die Beherrschbarkeit der Umgebung eingefordert wird, treibt dann eben auch solche Blüten wie den Internetpranger.

Die Neukonzeption der Sicherungsverwahrung insgesamt, wie die Bundesjustizministerin sie plant – mit deutlich mehr Möglichkeiten, sie von Anfang an unter Vorbehalt zu verhängen – dürfte im Übrigen unter dem Strich zu mehr Sicherungsverwahrten und – wenn man so will – damit für mehr Sicherheit sorgen. Die Diskussion, die die Union da führt, tut es nicht. Schon deshalb nicht, weil sie rechtlich nicht einlösbar ist. Die Folgen für das Sicherheitsgefühl aber sind gerade deshalb fatal.

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