Spiegel Online:
Polizisten wird der Urlaub gestrichen
Die Terrorgefahr in Deutschland ist nach Einschätzung des Bundespolizeichefs derzeit größer als je zuvor. Polizisten wird der Urlaub gesperrt, die Gewerkschaft spricht von der „größten Herausforderung in der Nachkriegsgeschichte“. Unklar ist, ob von der vermeintlichen Kofferbombe in Namibia tatsächlich Gefahr ausging – oder es sich um eine Attrappe handelt.
Berlin – Die wegen der konkreten Terrorgefahr verschärften Sicherheitsvorkehrungen in Deutschland werden wohl mindestens bis zum Ende des Jahres aufrecht erhalten. Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, sagte, für Dezember geplante Urlaube und freie Tage seien den Polizisten vielerorts bereits gestrichen worden: „Solange die Weihnachtsmärkte laufen, müssen wir jederzeit mit Anschlägen rechnen.“ Es sei dort bundesweit massive Polizeipräsenz vorgesehen.
Die Anschlagsgefahr beschränke sich nicht auf Großstädte wie Berlin, Hamburg, Frankfurt oder München, so Wendt zur „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Die deutsche Polizei stehe in den nächsten Wochen „vor der größten Herausforderung in der Nachkriegsgeschichte“.
Der Präsident der Bundespolizei, Matthias Seeger, warnt vor Panik und Hysterie. Dies sei „nicht angebracht“. Allerdings: „Auf einer Skala von eins – keine Gefahr – bis zehn – akute Anschlagsgefahr – liegen wir im Moment bei 9,0.“ Da gelte es, besonders wachsam zu sein, sagte Seeger der „Bild“-Zeitung. Bedroht seien eher die Menschen in Großstädten als auf dem Land, sowie Bahnhöfe und Flughäfen.
„Extra Streifen in Zivil und Uniform in den Zügen“
Die Spiele der Fußball-Bundesliga an den nächsten Wochenenden hält Seeger für „sicher“. Die Polizei werde dort deutlich mehr Präsenz zeigen. „Auch die Bundespolizei wird auf den Bahnhöfen mit bis zu 2500 Bereitschaftspolizisten im Einsatz sein“, so der 55-Jährige. Zudem habe man „Extra-Streifen in Zivil und Uniform in den Zügen vorgesehen“.
Unterdessen will offenbar die Regierung die Sicherheitsbehörden durch 600 neue Stellen bei Bundespolizei, Bundeskriminalamt und Zoll verstärken. FDP-Haushalts- und Innenexperte Florian Toncar geht davon aus, dass das Gros des neuen Personals für die Bundespolizei eingesetzt wird. Nach seinen Angaben seien die bisherigen Sparpläne für die Bundespolizei endgültig vom Tisch: „Wir werden keine Haushaltssanierung auf Kosten der Sicherheit vornehmen“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Bislang hatte die Bundesregierung die Streichung von bis zu tausend Stellen bei der Bundespolizei in den kommenden vier Jahren geplant.
Neu aufgebrochen ist die Debatte um die Wiedereinführung der vom Bundesverfassungsgericht in ihrer alten Form gekippten Vorratsspeicherung von Telefon- und Internetdaten. Länder-Innenminister von Union und SPD versuchten am Rande der gerade laufenden Hamburger Innenministerkonferenz (IMK) entsprechenden Druck auf FDP-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger aufzubauen.
Die aber bleibt hart – und lehnt neue Sicherheitsgesetze vor dem Hintergrund der aktuellen Terrorwarnungen ab: „Man darf diese schwierige Sicherheitslage und die Terrordrohungen jetzt nicht politisch instrumentalisieren“, sagte sie der „Passauer Neuen Presse“. Die Ministerin kündigte in der „Süddeutschen Zeitung“ aber an, ihr Ministerium bereite eine „anlassbezogene Nutzung von Verbindungsdaten“ vor. Dabei handele es sich um das „Quick-freeze-Verfahren“, das sogenannte Schockfrosten. Dabei werden Telekommunikations-Verkehrsdaten für Zwecke etwa der Strafverfolgung nur vorübergehend gesichert. Kritiker argumentieren allerdings, dieses Verfahren könne in Deutschland nicht funktionieren, weil manche Unternehmen schon überhaupt keine Kommunikationsdaten mehr sicherten.
Verdächtiges Gepäckstück in Namibia
Innenminister Thomas de Maizière (CDU) – in der Vergangenheit immer ein Verfechter der Vorratsdatenspeicherung – betont: „Das ist jetzt nicht die Stunde, auf dem Rücken dieses Themas rechtspolitische Auseinandersetzungen zu verschärfen oder abzumildern.“ Mitte der Woche hatte er vor einem Terror-Anschlag radikaler Islamisten noch im November gewarnt und die Sicherheitsvorkehrungen massiv verschärft.
Am Donnerstag dann wurde ein verdächtiges Gepäckstück vor dem Abflug einer Air-Berlin-Maschine nach München im namibischen Windhoek entdeckt. Offen ist aber, ob wirklich Gefahr bestand. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE gibt es Hinweise, dass es sich um ein Testgerät gehandelt haben könnte, um Sicherheitsmaßnahmen zu prüfen. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete von einem Zettel mit dem Wort „Test“, der auf dem Gepäckstück angebracht gewesen sein soll. Von einer Übung wollte eine Flughafen-Sprecherin allerdings nichts wissen.
Auch dem ZDF liegen Informationen vor, wonach es sich um eine Bombenattrappe gehandelt haben könnte. Die Aktion sei offenbar ein Testlauf gewesen, um die Aufmerksamkeit der Gepäckkontrolle zu testen, berichtete der Sender am Donnerstagabend unter Berufung auf nicht näher genannte US-Sicherheitskreise. Es handele sich bei dem Fund um einen industriell gefertigten Sprengsatz speziell für Sicherheitstests. Wer diesen Test durchgeführt habe, sei derzeit nicht bekannt.
Eine ganz andere Theorie vertritt offenbar Grünen Fraktionsvize Hans-Christian Ströbele. Er warf Innenminister de Maizière vor, das Parlament unzureichend über die Hintergründe seiner am Mittwoch ausgesprochenen konkreten Terrorwarnung zu informieren – und äußerte sich im Hessischen Rundfunk skeptisch zur Glaubwürdigkeit der Terrorwarnung. In den vergangenen Jahren seien schließlich immer wieder derartige Warnungen herausgegeben worden, begründete er seinen Zweifel. Vielmehr habe er den Verdacht, die Bundesregierung verstärke die Terrorangst, um die Sicherheitsgesetze zu verschärfen und die Vorratsdatenspeicherung durchzusetzen.
sef/Reuters/dapd