Die Welt, 21.07.2010
Debatte nach Gewerkschaftsvorstoß
von Christoph Wenzel
Berlin – Schon bevor in Nordrhein-Westfalen die Umstellung von grünen auf blaue Uniformen bei der Polizei begann, waren dort viele Menschen mit Polizisten in dunkelblauer Einsatzkleidung vertraut. Bloß, dass darauf „Politie“ statt „Polizei“ stand: Seit Mitte der 90er-Jahre gibt es in NRW eine Kooperation mit der niederländischen Polizei. Diese wird sichtbar, wenn Polizisten aus den Niederlanden ihre deutschen Kollegen auf Streifen begleiten, etwa demonstrativ auf Weihnachtsmärkten. Auch zu Fußballspielen mit internationaler Beteiligung sind oft ausländische Polizisten in Deutschland – nicht nur während der Weltmeisterschaft 2006, als 320 Beamte aus dem Ausland im Einsatz waren.
Erich Rettinghaus, Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in NRW, will in dieses System nun die Türkei einbeziehen: Uniformierte Polizisten aus der Türkei sollten in sogenannten Problemvierteln mit deutschen Polizisten auf Streife gehen und sich um türkischstämmige Jugendliche kümmern. „Das ist keine Kapitulation der deutschen Polizei oder gar eine Art Offenbarungseid, sondern ein konstruktiver Versuch einer neuen Gemeinsamkeit“, sagt Rettinghaus. „Das ist ein guter Ansatz für Akzeptanz sowohl auf türkischer als auch auf deutscher Seite.“
Deniz Güner, NRW-Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland, sieht das anders: „Wir halten das für den völlig verkehrten Ansatz, was Integration angeht.“ Die Menschen, die durch türkische Polizisten erreicht werden sollen, seien keine Ausländer, sondern Inländer. Der Gedanke, für Viertel mit hohem Migrantenanteil Polizisten aus der Türkei, also dem Ausland, zu holen, sei deshalb absurd. „Wir fordern das Gegenteil: Menschen mit Zuwanderungsgeschichte sollten verstärkt für die Polizei angeworben werden.“ Diese Position vertritt auch Nordrhein-Westfalens neuer Innenminister Ralf Jäger (SPD). „Wir brauchen mehr Polizisten mit Migrationshintergrund.“ In NRW würden momentan jährlich rund sieben Prozent der Polizisten eines Einstellungsjahrgangs einen Migrationshintergrund aufweisen. Bei 1100 Einstellungen sind das rund 80 Beamte. Bei künftig rund 1400 Einstellungen kämen dann jährlich fast 100 Polizisten mit Zuwanderungsgeschichte in den Dienst. „Das halten wir für nachhaltiger“, sagt Jäger. In Hamburg und Hessen soll der Anteil von Migranten im Polizeidienst in den kommenden Jahren sogar auf bis zu 20 Prozent gesteigert werden. Und in Berlin gibt es beim Einstellungsverfahren nun einen „interkulturellen Kompetenztest“, der auf Fremdsprachenkenntnisse abzielt.
Auch Konrad Freiberg, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), betont, wie wichtig das Wissen von Kollegen mit Mitgrationshintergrund sei. Ausländische Polizisten hinzuzuziehen hält er für „wirklich absurd“: „Natürlich gibt es Probleme in bestimmten Stadtteilen, auch mit bestimmten Ethnien. Aber das müssen deutsche Polizisten meistern.“ Sonst müsse man in Großstädten wie Berlin aus vielen Ländern Polizisten einsetzen, nicht nur aus der Türkei, sondern beispielsweise auch aus Polen.
Rainer Wendt, Bundesvorsitzender der DPolG, merkt jedoch an, dass der Vorschlag aus Nordrhein-Westfalen vor allem „Versuchscharakter“ hätte. „Der Vorschlag sagt ja nur: ‚Lasst es uns versuchen.'“ Wichtig sei die wissenschaftliche Begleitung, um Erkenntnisse über den Nutzen gewinnen zu können. Die solle durch die Hochschule der Polizei in NRW erfolgen. „Erst wenn man diese Erkenntnisse hätte, käme die Frage, wo das Konzept sinnvoll einsetzbar wäre.“ Dass es jedoch dazu kommt, ist unwahrscheinlich: Der Vorstoß sei nicht zielführend, heißt es aus dem Innenministerium in NRW.