Die Welt, 14.07.2010
Für das Anlegen seiner Dienstuniform erstreitet ein Polizist vor Gericht sieben Tage mehr Freizeit
Münster – Ob er erst mal eine Woche in den Urlaub fährt oder doch die Stunden ausgezahlt bekommt, weiß er noch nicht. Fest steht nur, dass der 44-jährige Polizist mit einem ungewöhnlichen Antrag Recht bekam – und sich vor dem Verwaltungsgericht Münster sieben Tage mehr Freizeit im Jahr erstritt.
Ausziehen der Uniform, das jeden Tag etwa eine Viertelstunde in Anspruch nimmt, sei Arbeitszeit, urteilten gestern die Richter.
Der Polizeipräsident Münster hatte zuvor den Antrag des Beamten, das An- und Ausziehen der Uniform als Dienstzeit anzuerkennen, abgelehnt. Der Arbeitgeber wollte nur die Zeit für das „Aufrüsten“ mit Pistole, Handschellen und Pfefferspray anrechnen. Er hatte argumentiert, als Dienstzeit könnten nur die Vorbereitungen zur Herstellung der Einsatzbereitschaft wie etwa das Anlegen von Dienstwaffen und sonstiger Ausrüstung angesehen werden. Dagegen gehörten Vorbereitungen zur Herstellung der Dienstbereitschaft nicht zur Dienstzeit. Bei der Verhandlung Anfang Juli hatte der Polizist angegeben, dem Land als Dienstherr jährlich rund 45 Stunden zu schenken. Er muss sich vor und nach den Dienstschichten umziehen. „Das heißt, er erscheint jeden Tag eine Viertelstunde früher bei der Arbeit, als er eigentlich müsste“, sagt Erich Rettinghaus, Vorsitzender der Polizeigewerkschaft Nordrhein-Westfalen. „Wenn seine Schicht beispielsweise um 22 Uhr beginnt, muss er auch genau um diese Zeit einsatzbereit sein.“
Das Gericht urteilte nun, nicht nur das Anlegen der Einsatzmontur sei Arbeitszeit, auch das An- und Ausziehen der normalen Uniform. Diese sei „keinesfalls eine dem reinen Privatbereich zuzuordnende Kleidung“, sondern ebenso Teil der Ausrüstung. Die Uniform sei eine allein auf Gewährleistung von Schutz und Sicherheit ausgerichtete Ausrüstung. Das Argument, Streifenpolizisten könnten sich die Uniform schon zu Hause anziehen, ließ das Gericht nicht gelten. Dass der Kläger dies grundsätzlich dürfe, bedeute nicht, dass er es auch müsse. Die Richter stellten auch eine „ungerechtfertigte Ungleichbehandlung“ mit Kollegen fest, die Motorrad- oder Fahrradstreife fahren. Diese dürften nämlich Kombi und Schutzkleidung nach Dienstantritt anlegen.
Tatsächlich sei das komplette Anlegen der Dienstmontur aufwendig und zeitraubend. Bis alles „am Mann und am Gürtel“ sei, vergingen locker fünfzehn Minuten, sagt Rettinghaus. Ist die Uniform angelegt, müsse der Polizist die Waffe aus dem Waffenfach holen, die sich meistens im Keller befindet. Dann muss er alles auf Tauglichkeit prüfen, zum Durchladen der Dienstwaffe extra in die sogenannte Ladeecke gehen und einiges mehr.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, eine Berufung wurde abgelehnt. Die Zulassung kann jedoch in der nächsten Instanz, am Oberverwaltungsgericht (OVG) für Nordrhein-Westfalen, beantragt werden. Am OVG in Münster ist aber ohnehin in nächster Zeit eine landesweit gültige Entscheidung in der Frage zu erwarten, was als Rüstzeit der Polizisten gilt. Ein entsprechendes Verfahren sei anhängig, bestätigte ein Sprecher. Einen Termin gebe es noch nicht. Mehrere Gerichte in Nordrhein-Westfalen hatten sich schon mit dem Thema beschäftigt – die Urteile fielen unterschiedlich aus. Erich Rettinghaus hofft nun auf ein „positives Signal der neuen Regierung in Nordrhein-Westfalen“. Er hält ein weiteres Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht für eine unnötige Zeitverschwendung. Das Ministerium solle lieber möglichst schnell sein Okay geben. Rettinghaus hat dem möglichen neuen Innenminister von NRW schon angedeutet, wie er sich schnell bei der Polizei beliebt machen kann. Immerhin habe in der Vergangenheit auch schon das Verwaltungsgericht in Aachen in ganz ähnlicher Weise geurteilt. DW