Focus, 18.11.2011
Verfassungsschutz
Deutschlands Verfassungsschützer im Brennpunkt der Kritik
Donnerstag, 17.11.2011, 18:27
Wegen der jahrelang unentdeckten Zwickauer Neonazi-Gruppe stehen Deutschlands Verfassungsschützer im Zentrum der Kritik. Thomas Oppermann (SPD) beklagte „eine systematische Unterschätzung des Rechtsextremismus in Deutschland“ durch den Verfassungsschutz. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) indes machte die Politik für Versäumnisse verantwortlich.
Deutschlands Verfassungsschützer werden wegen der jahrelang unentdeckten Zwickauer Neonazi-Gruppe mit harschen Vorwürfen konfrontiert. Oppositionspolitiker beschuldigen sie, zu lasch gegen Rechtsextremismus vorzugehen. Auch aus den Reihen der Koalition kommt die Forderung, die Rolle des Verfassungsschutzes in dem Fall umfassend aufzuklären. Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) wiederum macht die Politik für Versäumnisse bei der Bekämpfung des rechten Terrors verantwortlich.
SPD, Linke und Grüne attackierten den Verfassungsschutz scharf. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD im Bundestag, Thomas Oppermann, beklagte am Donnerstag „eine systematische Unterschätzung des Rechtsextremismus in Deutschland“. Oppermann, Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums, sagte dem Sender NDR 1 Niedersachsen: „Man sieht überall Fahrlässigkeit, man sieht Unentschlossenheit und Pflichtvergessenheit.“
Grünen-Rechtsexperte Jerzy Montag warf den Behörden vor, die Gefahren des Rechtsradikalismus „zum Teil nachlässig und teils systematisch“ unterschätzt zu haben. Der Verfassungsschutz sei in Deutschland seit dem Kalten Krieg „historisch auf die sogenannte linke kommunistische Gefahr gepolt“, sagte er im TV-Sender Phoenix.
Die Vorsitzende der Linkspartei, Gesine Lötzsch, sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, der Verfassungsschutz „hat unsere Verfassung nicht geschützt, sondern gefährdet“. Verbindungsleute des Verfassungsschutzes hätten die rechtsextreme Szene selbst mit am Leben gehalten und Straftaten begangen.
Böhmer verlangt schnelle Aufarbeitung
Die stellvertretende FDP-Vorsitzende Birgit Homburger, sagte den „Stuttgarter Nachrichten“ (Freitagausgabe), es sei „unvorstellbar“, dass möglicherweise „V-Leute am Tatort dabei waren“ und nicht verhindert hätten, dass die Morde stattfinden. Es gebe „erheblichen Gesprächs- und Veränderungsbedarf“.
Auch die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Maria Böhmer (CDU), forderte, die Rolle des Verfassungsschutzes in dem Fall zu beleuchten. Eine „schnelle und gründliche Aufarbeitung“ sei nötig.
DPolG-Chef Rainer Wendt sagte hingegen der Nachrichtenagentur dapd, die Politik trage „mit ihren gesetzlichen Vorgaben und mit dem, was sie uns an personellen Ressourcen zur Verfügung stellt“ die Verantwortung, auch für Defizite bei den Sicherheitsbehörden.
190 BKA-Spezialisten befassen sich mit der NSU
Die Ermittlungsbehörden arbeiten mit zahlreichen Mitarbeitern an einer Aufklärung der Taten, die der Zwickauer Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) zugeschrieben werden. Allein beim Bundeskriminalamt (BKA) sind rund 190 Spezialisten mit dem Fall befasst, wie eine Sprecherin der Nachrichtenagentur dapd bestätigte. Die NSU soll seit 2000 mindestens zehn Morde, einen Nagelbombenanschlag und Banküberfälle begangen haben.
Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe wies Spekulationen zurück, dass am Tod der in Eisenach aufgefundenen mutmaßlichen NSU-Mitglieder Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt Dritte beteiligt waren. Der Sprecher sagte der Nachrichtenagentur dapd zudem, dass sich das dritte mutmaßliche NSU-Mitglied, die inhaftierte Beate Zschäpe, „bislang zum Tatvorwurf nicht geäußert hat“.
Möglicherweise wird es für die Opfer der NSU eine zentrale Trauerfeier geben. Dieser Forderung von Migrantenverbänden schloss sich die Integrationsbeauftragte Böhmer an. Linksfraktionschef Gregor Gysi fordert zudem eine Gedenkstunde im Parlament. In einem Brief an Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) regt Gysi auch eine von allen Fraktionen getragene Resolution gegen rechten Terror an, wie die „Berliner Zeitung“ (Freitagausgabe) vorab berichtete.
dapd, 17.11.2011
Opposition erhebt schwere Vorwürfe gegen Verfassungsschützer
Berlin – Politiker von SPD, Grünen und Linke werfen dem Verfassungsschutz vor, zu lasch gegen Rechtsextremismus vorzugehen. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD im Bundestag, Thomas Oppermann, beklagte am Donnerstag „eine systematische Unterschätzung des Rechtsextremismus in Deutschland“. Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, erklärte hingegen, die Beschäftigten der Sicherheitsbehörden hätten alles ihnen Mögliche getan, um „Terrorismus in allen Erscheinungsformen“ zu bekämpfen.
Oppermann, Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums, sagte dem Sender NDR 1 Niedersachsen: „Man sieht überall Fahrlässigkeit, man sieht Unentschlossenheit und Pflichtvergessenheit.“ Der Verfassungsschutz müsse schlagkräftiger werden und die Polizei entschlossener gegen rechte Gewalt vorgehen.
SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles forderte eine schnelle Aufklärung der Taten, die der Zwickauer Terroristengruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) zugeschrieben werden. Die Bevölkerung sei „extrem irritiert“, weil die Neonazis offenbar jahrelang „raubend und mordend“ durch Deutschland gezogen seien, sagte Nahles der Nachrichtenagentur dapd. Es müsse möglichst rasch geklärt werden, ob und inwieweit der Verfassungsschutz darin verstrickt sein könnte. Die NSU soll für mindestens zehn Morde, einen Nagelbombenanschlag sowie Banküberfälle verantwortlich sein.
Die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Renate Künast, beklagte erschreckende Ignoranz sowie Desinteresse bei den zuständigen Behörden. Die Ämter für Verfassungsschutz müssten „vom Kopf auf die Füße“ gestellt werden, sagte sie im Südwestrundfunk.