BIld, 30.08.2010
22 Stunden Material über die Katastrophe von Duisburg ins Internet gestellt
Klären diese Video-Bilder das Loveparade-Drama auf?

Von DANIEL BÖCKING

Fünf Wochen nach der Todes-Parade von Duisburg sehen wir erstmals Videoaufnahmen des Polizeieinsatzes im Zugangstunnel. Das Material, aufgenommen um 15.51 Uhr, zeigt eine Polizeikette, die den Zulauf zum Gelände der Loveparade sperrt. Dahinter stauen sich die Massen.

Die Auflösung dieser Kette soll die Katastrophe mit ausgelöst haben – so die Darstellung des Veranstalters.

KLÄREN DIESE VIDEO-BILDER DIE KATASTROPHE VON DUISBURG AUF?

Ab heute sind im Internet 22 Stunden Video-Material von der Todes-Parade zu sehen. Veranstalter Rainer Schaller („Lopavent“) veröffentlichte das Material aus seinen Überwachungskameras.

Etwa zehn Minuten nach der Aufnahme aus dem Tunnel soll diese Polizeikette überrannt worden sein, Menschenmengen aus allen Richtungen prallten aufeinander. Es kam zur Massenpanik, 21 Opfer wurden zu Tode gequetscht, mehr als 500 teilweise schwer verletzt.

„Lopavent“-Chef Rainer Schaller will mit der Veröffentlichung des Materials seine Vorwürfe gegen die Polizei stützen. Dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ sagte er: „Keiner von uns kann sich erklären, warum die Polizei die Ketten im Tunnel gebildet hat und welche Funktion die Kette am unteren Ende der Rampe haben sollte. Ich glaube, ohne diese Kette würden die 21 Menschen noch leben.“

Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), wies die Vorwürfe zurück. Die Beamten hätten „teilweise unter Einsatz ihres Lebens versucht, die schlimmsten Folgen der schlampigen Loveparade-Planung zu verhindern“. Dieter Wehe, Polizeiinspekteur NRW: „Der Veranstalter hat die Polizei um Hilfe gebeten, weil sein Sicherheitskonzept zusammengebrochen war. Er hatte zugesagt, die Eingangsschleusen zu schließen. Das ist nicht geschehen.“

Am Donnerstag tagt der Innenausschuss des Landtags zur Todes-Parade. Schaller nimmt nicht teil. Frank Richter, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP): „Schallers Weigerung, dem Innenausschuss Rede und Antwort zu stehen, ist feige und unerhört.“ Der „Lopavent“-Chef kündigte an, Firmenvertreter zu schicken.

Gestern kamen weitere Details zur Katastrophe heraus: Der WDR meldete, dass im Lagezentrum von Veranstalter und Polizei in der kritischen Phase einzelne Kameras ausgefallen seien. Teilnehmer der Loveparade sollen sie bei der Flucht aus einem Tunnel unbeabsichtigt beschädigt haben.

Der Westen, 30.08.2010

Loveparade
: Schallers Loveparade-Videos sind jetzt online

Duisburg. Sieben Wochen nach dem Loveparade-Drama sucht Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland wieder die Öffentlichkeit. Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller hat indes Videos und einen Dokumentarfilm von der Katastophe ins Netz gestellt.

Duisburgs umstrittener Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) plant sieben Wochen nach der Massenpanik und den 21 Toten auf der Loveparade seine Rückkehr in die Öffentlichkeit. So hat das Stadtoberhaupt nach Informationen der WAZ-Mediengruppe zum 12. September seine Teilnahme an der „Sinfonie der Tausend“ im Landschaftspark Duisburg-Nord zugesagt, eine Veranstaltung der Duisburger Philharmoniker und der Ruhr 2010.

Unter den 4000 Gästen werden auch Bundespräsident Christian Wulff und Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) erwartet. Der Bundespräsident hatte kurz nach den tödlichen Ereignissen seinem christdemokratischen Parteifreund Sauerland in diplomatischer Form den Rücktritt vom Amt des Oberbürgermeisters nahegelegt. Jetzt sind die Veranstalter in Sorge, dass es im September zu protokollarischen Verwicklungen oder gar zu Störungen der hochrangig besuchten Veranstaltung kommen könnte. Die Konzertveranstaltung wird abweichend vom ursprünglichen Programm mit einer Gedenkminute für die Toten der Loveparade beginnen.

Taktische Fehlleistungen?

Unterdessen hat der Loveparade-Veranstalter Lopavent erneut schwere Vorwürfe gegen die Polizei erhoben. Um die aus seiner Sicht taktischen Fehlleistungen der Polizei öffentlich belegen zu können, hat Rainer Schaller die Videoaufnahmen der sieben Überwachungskameras mit insgesamt 22 Stunden Material und einen Dokumentarfilm ins Internet gestellt.

Die Staatsanwaltschaft Duisburg hat offenbar keine rechtliche Handhabe, die Veröffentlichung der Videos zu verhindern. „Nach meinen Informationen sieht die Staatsanwaltschaft Duisburg keine Möglichkeit, die Pläne Schallers juristisch zu stoppen“, sagte der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, der „Neuen Osnabrücker Zeitung“.

Die Strafverfolgungsbehörde habe Schaller aber in einem Schreiben „dringend aufgefordert, das Material der sieben Überwachungskameras aus Gründen der Pietät und Rücksicht auf die laufenden Ermittlungen nicht zu veröffentlichen“.

„Herr Schaller manipuliert und verdunkelt“

Auch der Gewerkschaftsvorsitzende warnte Schaller vor dem Schritt an die Öffentlichkeit: „Es wäre das Allerletzte, die Hinterbliebenen im Netz mit den Bildern ihrer sterbenden Angehörigen zu konfrontieren.“ Zudem bestehe ein erhebliches Risiko, mit den Videobildern Zeugen der Vorfälle zu beeinflussen. „Herr Schaller manipuliert und verdunkelt, wo er kann. Ihm geht es offenbar nicht um die Wahrheit, sondern nur darum, seinen eigenen Hals zu retten.“

Die Einsatzkräfte hätten „aus unerklärlichen Gründen“ drei Sperrketten eingerichtet, als sich die Menschen am Unglückstag ab 15.50 Uhr vor den Zugängen im westlichen und im östlichen Bereich des Veranstaltungsgeländes stauten, behauptet dagegen Schaller. Diese Ketten seien „vermutlich die Ursache der Katastrophe“ gewesen. Ohne die Polizeikette auf der Rampe würden die Menschen heute noch leben, zeigte er sich überzeugt. Vor dem Innenausschuss des Düsseldorfer Landtags, der sich am Donnerstag mit dem Unglück beschäftigt, will er nicht erscheinen. Er werde aber Vertreter seiner Firma schicken.

Bildstörung im Lagezentrum?

Der Generalinspekteur der NRW-Polizei, Dieter Wehe, wies die Vorwürfe zurück. Die Polizei werde die Öffentlichkeit am Donnerstag über die ihr vorliegenden Erkenntnisse zum Handeln der Polizei bei der Loveparade weiter informieren. Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in NRW, Frank Richter, attackierte Schaller massiv: „Seine Weigerung, dem Innenausschuss Rede und Antwort (…) zu stehen, ist feige und unerhört.“ Die „verlogenen“ Angaben über die Besucherzahlen, das „unbrauchbare“ Sicherheitskonzept, das viel zu späte Öffnen des Geländes, die gravierenden Fehler an den Einlassstellen und der mangelhafte Ordnereinsatz seien wesentliche Ursachen der Katastrophe gewesen, so Richter weiter.

Wie der WDR meldete, litt das in einem Hochhaus untergebrachte Lagezentrum von Veranstalter und Polizei bei der Duisburger Loveparade am 24. Juli offenbar in der kritischen Phase der Veranstaltung zeitweise unter technischen Störungen der Überwachungskameras. Das sagte der Geschäftsführer eines der beteiligten Sicherheitsunternehmen dem Magazin „Westpol“. (NRZ/ddp)

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