BILD, 08.07.2010
Deutschland nimmt Gefangene auf
Wie gefährlich sind die Guantanamo-Häftlinge?
Innenminister de Maizière: Wir holen keine Terroristen ins Land +++ Polizei: 24-Stunden-Überwachung notwendig +++ Namen bekannt
07.07.2010 – 14:59 UHR

Von E. Koch, K. Pajdak und F. Solms-Laubach

Den Plan hatte Thomas de Maizière (CDU) seit Langem in der Schublade – aber: Er war extrem umstritten. Jetzt hat sich der Bundesinnenminister durchgesetzt.

Deutschland nimmt zwei ehemalige Insassen des US-Gefangenenlagers Guantanamo auf!

Einer der beiden Ex-Häftlinge soll nach Hamburg kommen, ein zweiter nach Rheinland-Pfalz. Sie sollen in einigen Wochen nach Deutschland einreisen.

De Maizière versicherte: Gegen die zwei Häftlinge liege strafrechtlich weder in den USA noch in Deutschland noch in den Herkunftsländern etwas vor.

NAMEN BEKANNT

Bei den beiden Guantanamo-Häftlingen handelt es sich nach BILD-Informationen um einen Palästinenser und einen Syrer. Bei beiden gibt es keinen Deutschlandbezug wie etwa Familienangehörige.

Der Palästinenser heißt Ayman al-Shurafa. Er ist 34 Jahre alt und trägt die Häftlingsnummer 331. Laut US-Militärakten ließ sich der frühere Hamas-Aktivist 2001 für den „heiligen Krieg“ anwerben.

Bei seiner Vernehmung soll er angegeben haben, in einem afghanischen Terror-Camp von al-Qaida an einer Kalaschnikow ausgebildet worden zu sein.

Der zweite Häftling heißt nach BILD-Informationen Mahmud Salim al-Ali. Der 35-Jährige ist syrischer Staatsangehöriger. Er trägt die Häftlingsnummer 537 und soll 2001 ebenfalls mit dem Ziel einer Terror-Ausbildung nach Afghanistan gekommen sein.

WARUM NIMMT DEUTSCHLAND DIE HÄFTLINGE AUF?

„Die Bundesregierung hat das Lager stets kritisiert, deshalb sehen wir uns auch bei seiner Auflösung in der Verantwortung“, so de Maizière. Er habe die Entscheidung nicht nur als Innenminister getroffen, sondern auch „als Mensch und Christ“.

Die Aufnahme einer dritten Person, um die die USA gebeten hatte, lehnte die Bundesregierung ab.

„Bei dieser Person konnte nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass eine Gefahr für die Bundesrepublik Deutschland besteht“, sagte de Maizière.

WIE GEFÄHRLICH SIND DIE HÄFTLINGE?

Eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch die Gefangenen schließt de Maizière „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ aus. „Wir werden keine Terroristen ins Land holen“, sagte der Minister.

Obwohl die Entscheidung rechtlich beim Bund lag, war de Maizière bei der Suche nach einem Aufenthaltsort auf eine Kooperation der Bundesländer angewiesen. Die hatten lange Zeit Widerstand geleistet.

Der rheinland-pfälzische Innenminister Karl Peter Bruch (SPD) sagte, die Gefährlichkeit der beiden Insassen sei umfassend durch das Bundesinnenministerium, das Bundeskriminalamt sowie die Dienste des Bundes geprüft worden.

Eine Sprecherin des Hamburger Senats erklärte, die Hansestadt habe sich in einer besonderen Pflicht gesehen, die USA zu unterstützen, weil der 11. September auch immer wieder mit Hamburg in Verbindung gebracht werde. Mehrere der Attentäter hatten in Hamburg gelebt.

KRITIK VON DER POLIZEI

Der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Rainer Wendt, kritisierte die Entscheidung.

Wendt zu BILD.de: „Da wird sich die Polizei in Rheinland-Pfalz und Hamburg bedanken. Mit der 24-Stunden-Überwachung auch nur eines einzelnen Gefährders sind bis zu 30 Polizisten beschäftigt. Bei zweien sind das bereits 60 Beamte, die aus dem normalen Dienst abgezogen werden müssen.“

Damit kämen erhebliche Belastungen auf die Einsatzkräfte und ihre Dienststellen zu, sagte DPolG-Chef Wendt weiter. „Die Polizisten werden an anderen Stellen fehlen. Und die Überwachung wird damit sehr kostspielig sein.“

Das Innenministerium aber unterstreicht gerade, dass es sich bei den beiden Häftlingen nicht um Gefährder handelt und darum auch schon rein rechtlich ein solcher Einsatz gar nicht zur Debatte steht.

Wenn überhaupt dann brauchen die Ex-Häftlinge laut Innenministerium Hilfe in einer Betreuungseinrichtung und nicht eine 24-Stunden-Überwachung.

WAS IST GUANTANAMO?

Die USA hatten das Lager auf Kuba Anfang 2002 im Zuge ihres Anti-Terror-Krieges eingerichtet. Die weltweite Kritik war seitdem stetig gewachsen, da die Zustände im Lager als menschenunwürdig gelten und die Insassen nach Militärstrafrecht inhaftiert worden sind.

US-Präsident Barack Obama (48) will allen Widerständen in den Reihen der Republikaner zum Trotz nicht von seinem Ziel abrücken, das umstrittene Lager auf Kuba zu schließen.

Der Präsident hatte dies bei seiner Amtseinführung im Januar 2009 binnen eines Jahres zugesagt. Inzwischen musste er allerdings einräumen, dass diese Frist nicht eingehalten werden kann. Abhilfe soll deshalb unter anderem auch die Überführung der Insassen ins Ausland schaffen.

Bereits im Februar 2009 hatte Präsident Obama den ersten Guantanamo-Gefangenen frei gelassen. Der Äthiopier Binyam Mohamed kehrte in sein früheres Exil Großbritannien zurück.

TERRORVERDÄCHTIGER LEGT GESTÄNDNIS AB

Ein Terrorverdächtiger aus dem Sudan hat am Mittwoch in Guantanamo gestanden, dass er das Terrornetzwerk al-Qaida unterstützt habe. Das Geständnis von Ibrahim Ahmed Mahmoud al-Qosi (50) führt laut Pentagon zu der ersten Verurteilung vor einem speziellen Militärgericht in Guantanamo seit Amtsantritt von US-Präsident Barack Obama im Januar 2009. Das Strafmaß wird voraussichtlich am 9. August verkündet.

Der 50-Jährige war der Küchenchef des al-Qaida-Anführers Osama bin Laden in einem Lager im afghanischen Dschalalabad.

Hamburger Abendblatt, 08.07.2010

Aufnahme aus Gefangenenlager
Guantánamo-Häftling kommt nach Hamburg

8. Juli 2010, 06:00 Uhr

Deutschland wird zwei Häftlinge aus dem Lager aufnehmen. Einer der Männer soll in der Hansestadt ein neues Leben führen können.

Hamburg. Jahrelang hat er im Gefangenenlager Guantánamo als mutmaßlicher Al-Qaida-Anhänger und höchstgefährlicher Terrorverdächtiger gesessen. Doch vermutlich schon in wenigen Wochen wird er als freier Mann in Hamburg leben. Ebenso wie in Rheinland-Pfalz sein bisheriger Mithäftling. Ein „Neuanfang in rein privatem Umfeld“ für die Männer, das ist das erklärte Ziel von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), der gestern die Aufnahme von zwei Guantánamo-Häftlingen ankündigte. Deswegen wollte er auch keine Details zu ihnen nennen. Nach Informationen der „Bild“-Zeitung handelt es sich bei den beiden Häftlingen um einen 34 Jahre alten Palästinenser und einen ein Jahr älteren Syrer.

Einen Deutschlandbezug, so viel immerhin sagte de Maizière, hätten beide nicht, aber in ihre Heimatländer zurückkehren könnten sie auch nicht. Anders als etwa Bayern, Thüringen, Hessen, Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin stimmten Hamburg und Rheinland-Pfalz einer Aufnahme der jetzt als ungefährlich geltenden Häftlinge zu.

„Unsere Bedingung war dabei, dass sich Hamburg nicht als einziges Bundesland der Verantwortung stellt und die betreffende Person den eingehenden Sicherheitsprüfungen standhält“, sagte Hamburgs Senatspressesprecherin Kristin Breuer. Der Hamburger Landesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Joachim Lenders, befürchtet dennoch, dass der Mann nicht unbeobachtet bleiben kann. „Die Hamburger Sicherheitsbehörden werden den Mann gewiss im Auge behalten müssen. Eine zeit- und kostenintensive Aufgabe“, sagte er. Er habe sich von Beginn der Diskussion an dagegen ausgesprochen, Guantánamo-Häftlinge „ausgerechnet nach Hamburg“ zu holen. „Immerhin hat diese Stadt ja eine Vorgeschichte in Bezug auf den 11. September“, sagte Lenders. In Harburg planten die Terrorpiloten um Mohammed Atta ihre Terroranschläge in New York. Uwe Koßel, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP), fürchtet, dass Hamburg nur wieder ins Blickfeld von al-Qaida gerät: „Mit der Unterbringung eines der Guantánamo-Häftlinge in Hamburg gerät die Stadt in den Fokus der al-Qaida und könnte so möglicherweise Ziel von Anschlägen werden.“ Der GdP-Bundesvorsitzende Konrad Freiberg sieht eine moralische Pflicht, die USA bei der Schließung von Guantánamo zu unterstützen. „Nach der gründlichen Prüfung durch den Bundesinnenminister müssen wir davon ausgehen, dass von den Männern keine Gefahr ausgeht“, sagte er.

Hamburgs SPD-Innenexperte Andreas Dressel verlangt von Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) Aufklärung über den Fall. „Man kann nicht in Sonntagsreden Guantánamo geißeln und sich werktags verweigern, diesem Spuk ein Ende zu bereiten. Insofern ist es in Ordnung, wenn Hamburg hier einen Beitrag leistet“, sagte er. „Voraussetzung muss jedoch sein, dass die Sicherheit unserer Stadt in keiner Weise gefährdet wird. Hier ist der Innensenator in der Pflicht, das der Öffentlichkeit transparent nachzuweisen.“

Angst um ihre Sicherheit haben letztlich alle Aufnahmeländer. In den USA selbst ist es vor allem schwierig. De Maizière betonte gestern denn auch, dass sich vor allem die USA selbst um eine Lösung des Guantánamo-Problems kümmern und die Gefangenen aufnehmen müssen. „Die USA erlauben nur dann einer Person die Einreise nicht, wenn die Sicherheit der USA gefährdet ist“, stellt er fest. Noch immer sitzen 180 Gefangene in dem Lager. Laut Pentagon sind seit 2002 schon 600 Inhaftierte von anderen Ländern aufgenommen worden. In den meisten Fällen ging es um eigene Staatsbürger, die in Guantánamo gefangen waren – so kehrten allein neun Insassen mit britischer Staatsbürgerschaft nach Großbritannien zurück. Auch Deutschland ließ 2006 den Deutsch-Türken Murat Kurnaz aus Bremen wieder einreisen. Mehr als 30 Gefangene wurden aber in fremde Gastländer gebracht, weil die Rückkehr in ihre Heimat nicht möglich war.

Dies gilt in der Regel, wenn dort politische oder religiöse Verfolgung droht. So nahm Pazifik-Staat Palau sechs muslimische Uiguren aus China auf, die britische Kolonie Bermuda im Atlantik bot vier weiteren eine neue Heimat. Die meisten Entlassenen kehrten nach Afghanistan (199), Saudi-Arabien (120), Pakistan (63) und in den Jemen (21) zurück. Aus diesen Ländern stammten die meisten Guantánamo-Insassen.

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