»Zur Polizei gehen doch nur Doofe«

19 Beamte aus Bayern bilden Afghanische Sicherheitskräfte aus

NÜRNBERG – Alptraum Afghanistan? Bei einer Veranstaltung der Deutschen Polizeigewerkschaft stand die desolate Lage am Hindukusch im Mittelpunkt. 19 bayrische Polizisten, darunter zwei Nürnberger, sind dort im Einsatz. Sie kämpfen gegen Analphabetismus, Korruption und den miesen Ruf der Polizei.

»Zur Polizei gehen nur Doofe oder Kriminelle oder eine Kombination aus beidem!« Dieser Satz sitzt. Reinhard Erös, bayrischer Wahl-Afghane, donnert ihn provozierend in den Saal, in dem fast nur Polizisten sitzen. Der Arzt, der seit Jahrzehnten am Hindukusch arbeitet und die Kinderhilfe Afghanistan leitet, beschreibt mit drastischen Worten die ablehnende Haltung vieler Afghanen gegenüber der eigenen Polizei. Er zeichnet das Bild einer Auffangtruppe für Männer ohne Schulabschluss und Perspektive. Der Ruf sei schlecht, die Bezahlung mies, das Risiko umso größer.

Freiwillig am Hindukusch

200 deutsche Polizisten tun freiwillig in Afghanistan Dienst und bilden mit anderen Nationen Polizisten aus. Wer mit hiesigen Maßstäben anreist und meint, sie den Afghanen überstülpen zu können, wird schnell seiner Illusionen beraubt. »Zu glauben, es könnte dort irgendwann wie in einem europäischen Land aussehen, ist dummes Zeug«, sagt Joachim Lenders, Vize-Bundeschef der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), die zur Diskussion »Sicherheit in Afghanistan« ins Haus Eckstein eingeladen hatte.

Dass zwischen der Polizei-Ausbildung hier und dort Welten liegen, hat auch der Nürnberger Kripobeamte Michael Petzold erfahren. Er unterrichtete in Masar-i-sharif Polizeischüler. Man könne zwar nicht die Welt verändern, sagt er. »Aber die drei Monate waren nicht sinnlos.«

Bei der Ausbildung geht es nicht um taktische Finessen. Es gehe darum, den angehenden Polizisten »beizubringen, wie sie überleben können«, meint Hubertus Andrä aus dem Innenministerium. Und wieso auch sollte man einem afghanischen Polizisten die Passkontrolle erklären, wenn der weder lesen noch schreiben kann?

Die Taliban zahlen einen höheren Sold

25 bis 30 Prozent der Mitarbeiter gehen der afghanischen Polizei nach der Ausbildung wieder verloren; weil sie getötet wurden, einen anderen Job fanden oder zu den Taliban überliefen. »Die zahlen besser«, stellt Erös trocken fest. Der Arzt malt ein düsteres Bild. »Die Kriminalität ist heute so hoch wie noch nie in der afghanischen Geschichte.« Clans, Drogenkartelle und Schmuggler hätten Hochkonjunktur. 80 Prozent der Menschen haben keinen Zugang zu Trinkwasser. »Die humanitäre Situation für die Bevölkerung hat sich verschlechtert seit dem Sturz der Taliban.«

Vor einer solchen Szenerie wirkt der Appell des ehemaligen Chefs von Eupol, der EU-Mission, die die afghanische Regierung beim Aufbau der Polizei unterstützt, wie ferne Zukunftsmusik: »Wir müssen den Menschen das Gefühl geben, dass sie sicherer leben als bisher«, so Jürgen Scholz.

„Wir müssen kleinere Brötchen backen“

Die Umstände, unter denen eine irgendwie funktionierende Sicherheitsstruktur aufgebaut werden soll, sind extrem schwierig. »Militärisch ist der Konflikt nicht zu gewinnen«, sagt Christian Schmidt (CSU), Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium. Er hält Debatten um Personalstärken der Bundeswehr und eine Orientierung an »der Geneigtheit der Öffentlichkeit« für wenig zielführend. »Allein der Erfolg ist maßgeblich.«

Nur, der Erfolg will sich nicht einstellen. »Wir müssen kleinere Brötchen backen«, fährt Schmidt fort. Die Messlatte wird immer tiefer gelegt. Sollte die Situation in zwei, drei Jahren nicht stabiler sein, »dann bin ich mir nicht ganz sicher, wie die Operation weitergeführt werden kann«.
Nürnberger Zeitung, 24.06.2010

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