FREIE PRESSE am 26.11.2011 (online – auch im Druckexemplar)
„Das Gewissen darf mit diesem Abend nicht beruhigt sein“
2500 Menschen setzten am Freitag beim „Zwickauer Appell“ ein Zeichen gegen Rechts – und vorschnelle Abwehrreflexe
Zwickau. Es hat etwas Heimeliges, wenn Menschen in der Vorweihnachtszeit mit Kerzen bei einander stehen. Vor einer Stunde hat Oberbürgermeisterin Pia Findeiß (SPD) den Zwickauer Weihnachtsmarkt eröffnet. Doch die Glühweinbuden bleiben vorerst verwaist.
Das Zentrum Zwickaus liegt heute woanders. „Kein Platz für Nazis“, steht auf dem Transparent an der kleinen Bühne, direkt vor dem Trabant-Denkmal. Zweieinhalbtausend Menschen sind zum Georgenplatz gekommen, um nach einer Mahnwache am Montag ein weiteres Zeichen gegen Rechts zu setzen. Der von Gewerkschaftsbund und Stadtverwaltung organisierte „Zwickauer Appell für Demokratie und Toleranz“ soll braunem Gedankengut eine klare Absage erteilen.
Auf den Steigermarsch folgt eine Schweigeminute. Die Regionalvorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Sabine Zimmermann, verliest die Namen der zehn Menschen, die durch die Hand des „Terror-Trios“ starben. „Zwickau verabscheut die an Kaltblütigkeit nicht mehr zu überbietenden Hinrichtungen“, ruft Zimmermann und ihre Stimme zittert.
Sie weiß, dass es heute nicht nur darum geht, der Opfer zu gedenken. Es auch darum, den Ruf einer Stadt zu retten. Ganz Deutschland spricht von Zwickau und der „Zwickauer Zelle“. Niemand spricht von „Thüringischen Tätern“. Über Nacht ist Sachsens viertgrößte Stadt ein Menetekel für das geworden, was schiefgelaufen ist in Deutschland. Auch die Kameraleute, die am Georgenplatz in die Menge filmen, sind weit gereist. Warum gerade Zwickau? Weil es sich hier so gut untertauchen lässt? Im „braunen Sumpf“?
Mit der Explosion des Hauses im Stadtteil Weißenborn, in dem Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos jahrelang unbehelligt lebten, kamen nicht nur Hintergründe ans Licht, es taten sich Abgründe auf. Der Schock saß tief. Erst zehn Tage später drückte Findeiß ihre Bestürzung über das Geschehene aus. Zu groß sei die Sprachlosigkeit gewesen ob der nie da gewesenen Gewalt. Doch sie ist es eben nicht: nie da gewesen. Mehr als 180 Opfer rechter Gewalt hat es laut Amadeu-Antonio-Stiftung seit 1990 gegeben. Wie viele das sind, zeigen Zwickauer Jugendliche als sie die Namen der Toten auf Stofffetzen, aufgereiht an einem Seil, quer über den Georgenplatz ziehen.
Sie wollen wiederum ein Zeichen setzen – gegen Abwehrreflexe, wie sie auch in Zwickau zu beobachten waren: Die Morde sind doch in ganz Deutschland passiert. Das ist nicht typisch für unsere Stadt. Auch an diesem Abend wird ein Satz gebetsmühlenartig wiederholt, so als würde er allein dadurch wahr. „Zwickau ist nicht braun“. Richtiger ist: Zwickau ist nicht nur braun. Denn ein paar wenige rechter Gesinnung haben sich dennoch hierher verirrt. Darunter Peter Klose, ehemaliger Landtagsabgeordneter der NPD, jetzt im Zwickauer Stadtrat. Ein stadtbekannter Rechtsextremist. Zimmermann ergreift das Mikrofon, um ihn lautstark des Platzes zu verweisen. Es ist Superintendent Eberhard Dittrich, der einem Umdenken an diesem Abend am nächsten kommt. „Warum habt ihr Klose nicht auf die Bühne geholt? Mich hätte interessiert, was er zu dieser Sache zu sagen hat.“ Endet nicht so das Leugnen, beginnt nicht so die Auseinandersetzung?
„Es muss Schluss sein mit Wegsehen und Verharmlosen“, betont auch die Oberbürgermeistern und stellt die Frage aller Fragen: „Waren wir auf dem rechten Auge blind?“ – wohl wissend, dass „wir“ nicht nur die Bundespolitik sein kann. Trotz Ermittlungspannen und zynischer Wortwahl: trotz „Dönermorden“ und „Sonderkommission Bosporus“.
Andreas Weiß sorgt sich als Besucher der Demo dennoch um den Ruf seiner Stadt. „Woran denken Sie, wenn sie Mölln hören? Oder Solingen?“, fragt er und schirmt seine Kerze vor dem Wind ab. „Wenigstens wissen die Wessis jetzt wo Zwickau liegt.“
Nach 45 Minuten gehen die Zwickauer im Takt des Steigermarsches nach Hause. „Das Gewissen darf mit diesem Abend nicht beruhigt sein“, hat Superintendent Dittrich zuvor gefordert. Nur wenige verirren sich noch an den Glühweinstand.
erschienen am 25.11.2011 (Von Ulrike Nimz)
Stadt Zwickau Online:
Rathaus Nachrichten
Rathaus Nachrichten
25.11.2011
Zwickau erteilt Rechtsextremismus eine Absage
Etwa 2.500 Menschen kamen am heutigen Freitagabend zu dem „Zwickauer Appell“, zu dem DGB-Chefin Sabine Zimmermann und Oberbürgermeisterin Dr. Pia Findeiß erst vor einer Woche aufgerufen hatten. Gemeinsam gedachte man der Neonazi-Opfer, deren Namen zu Beginn verlesen wurden. „Zwickau ist keine Heimstätte des braunen Terrors,“ betonte Zimmermann. Gleichzeitig forderte sie zum aktiven Eintreten gegen des Rechtsextremismus auf. Sachsens Innenminister Markus Ulbig erinnerte unter anderem daran, dass jeder beim Kampf gegen Extremismus mitwirken müsse: „Wir dürfen uns durch braunen Terror nicht einschüchtern lassen. Wir müssen unsere demokratische und weltoffene Gesellschaft verteidigen. In unserem direkten Umfeld, bei der Arbeit, im Freundeskreis, dort, wo wir unsere Freizeit verbringen. Es kommt auf jeden von uns an!“
Die Rede der Oberbürgermeisterin hatte folgenden Wortlaut:
„Liebe Zwickauerinnen und Zwickauer,
liebe Gäste,
wir sind die Automobil- und Robert-Schumann-Stadt,
hier wurden Max Pechstein und Gert Fröbe geboren,
wir sind dem Bergbau verpflichtet und waren die weltweit zweite Stadt, in der sich die Reformation durchsetzte,
wir haben Baudenkmale von europäischer Bedeutung, die wir mit viel Aufwand bewahren,
wir sind eine innovative Industrie- und Hochschulstadt,
unser Ehrenbürger Jürgen Croy ist sportliches Vorbild für Jung und Alt
der Zwickauer Elin Kolev hat mit seiner Hauptrolle in dem Film „Die Wunderkinder“ das Verantwortungsbewusstsein und das Lebensgefühl seiner Heimatstadt zum Ausdruck gebracht.
Und heute?
Heute ist Zwickau die Stadt des Terrortrios und der brauen Zelle.
Haben wir etwas falsch gemacht? Haben wir uns zu wenig für Demokratie und Toleranz engagiert? Waren wir auf dem „rechten Auge“ blind?
Liebe Zwickauerinnen und Zwickauer,
als ich am 4. November nach Weißenborn gerufen wurde, war ich vor Ort zunächst dankbar, dass keine Menschen zu Schaden kamen. Heute weiß ich, dass ich außerdem dankbar sein muss, dass die Angehörigen unserer Berufs- und der Freiwilligen Feuerwehren, die gute Arbeit leisteten, nicht zu Schaden kamen – angesichts der Gegenstände, die in dem Haus gefunden wurden.
Die schwerwiegenden Fragen drängten sich dann erst in den folgenden Tagen auf – Tage, in denen sich die Ereignisse überschlugen und ich, ebenso wie Sie, aus den Medien erfahren musste, dass die Explosion uns nicht nur Hinter-, sondern Abgründe offenbarte, die wir uns nicht vorstellen konnten und schon gar nicht vorstellen wollten!
Wie konnte das alles ausgerechnet in Deutschland geschehen, angesichts der braunen Vergangenheit, die wir alle kennen? Warum wurden die Täter nicht schon längst ergriffen? Wer steckt – möglicherweise – hinter dem Geschehen? Wie viele Personen und Gruppierungen unterstützten die Terroristen? Und: Haben die – sogenannten – Verfassungsschützer wirklich unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung geschützt?
Warum hat der sächsische Ministerpräsident nicht den Besuch in einem Zwickauer Unternehmen letzte Woche genutzt, um zu diesem furchtbaren Vorfall hier im sächsischen Zwickau Stellung zu nehmen? Bis heute hat weder ein Vertreter der Bundesregierung noch der sächsischen Staatsregierung nachgefragt, wie geht es Zwickau, braucht Zwickau Hilfe! Die Zwickauer warten darauf!
Die Fragen, warum das Furchtbare geschehen konnte, kann ich Ihnen nicht beantworten.
Aber eines sage ich sehr deutlich: Wir waren nicht auf dem rechten Auge blind und unsere Stadt ist nicht braun:
– Alt OB Rainer Eichhorn hat schon Mitte der 90er Jahre mitgewirkt bei der Gründung des Bündnisses gegen Rechts.
– Alt OB Dietmar Vettermann demonstrierte mit vielen Bürgern gegen die Eröffnung des Büros des damaligen NPD-Landtagsabgeordneten!
– Wir haben ein funktionierendes Bündnis für Demokratie und Toleranz, in dem alle – ich betone – alle demokratischen Parteien ebenso mitarbeiten wie Kirchen, Verbände, Gewerkschaften, kulturelle Einrichtungen oder Einzelpersonen.
– Am 1. Mai 2010 stellten sich 2.000 Menschen einer Demo des Freien Netzes entgegen, deren Teilnehmer kaum aus Zwickau kamen, sondern aus anderen Bundesländern anreisten.
– Wir sind „Ort der Vielfalt“ und unser Bündnis erhielt erst vor 2 ½ Wochen einen Anerkennungspreis beim Sächsischen Förderpreis für Demokratie.
– Wir engagieren uns für die Kinder und Jugendlichen dieser Stadt: Kürzungen vom Freistaat und vom Landkreis im Bereich der Sozialarbeit wurden mit Stadtratsbeschluss abgefangen und die Projekte Schul- und Straßensozialarbeit konnten fortgeführt werden.
– Und für welche Werte wir eintreten und stehen – dass beweisen Sie, die Sie heute auf unseren Georgenplatz gekommen sind.
Liebe Zwickauerinnen und Zwickauer,
dennoch sind wir zutiefst bestürzt, dass die Rechtsterroristen und Handlanger jahrelang in unserer Stadt lebten und sich von hier aus zu ihren verabscheuungswürdigen Verbrechen aufmachten.
Wir trauern um die Menschen, die Opfer des Terrortrios wurden. Unser Mitgefühl gilt den Hinterbliebenen.
Ihnen versprechen wir, dass wir in unseren Bemühungen, gegen politischen Rechtsextremismus einzutreten nicht nachlassen, und dass wir weiterhin für Demokratie und Toleranz eintreten.
Was uns bleibt ist die Hoffnung:
die Hoffnung und auch die Erwartung, dass die Taten und Geschehnisse lückenlos aufgeklärt werden,
die Hoffnung, dass alle demokratischen Kräfte in ganz Deutschland gemeinsam für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung eintreten,
die Hoffnung, dass Landes- und Bundesregierung die schrecklichen Ereignisse in ihrer künftigen Politik berücksichtigen,
und es bleibt auch die Hoffnung, dass wir nicht mehr als Stadt der Terrorzelle bekannt sind, sondern als Automobil- und Robert-Schumann-Stadt, als Stadt von Innovationen, und vor allem als Stadt, in der Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, ihrem Aussehen oder ihrer Religion herzlich willkommen sind!“
(Fotos: Ralph Köhler, propicture)
Appell für Demokratie und Toleranz
Wir sind bestürzt und betroffen angesichts der menschenverachtenden Taten von Mitgliedern einer rechtsextremen Terrorgruppe, die zuletzt in Zwickau wohnten.
Mit dem „Zwickauer Appell“ am Freitag, 25. November, um 18 Uhr auf dem Georgenplatz wird daher der Opfer gedacht. Zugleich soll mit der Veranstaltung rechtsextremen Gedankengut eine Absage erteilt werden. Es gilt, ein Zeichen für Demokratie und Toleranz zu setzen!
Sowohl die Zwickauerinnen und Zwickauer als auch die Bewohner der Region sind aufgerufen, mit Kerzen an dem Appell teilzunehmen, um dieses wichtige Signal auszusenden!
Den Appell können Sie außerdem unterstützen, indem Sie den gemeinsamen Aufruf der DGB-Regionsvorsitzenden und der Oberbürgermeisterin unterzeichnet an das Presse- und Oberbürgermeisterbüro der Stadt Zwickau faxen oder mailen. Unter „Unterstützer“ sehen Sie, dass sich bereits viele Personen und Institutionen dem Appell anschlossen.